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Der purpurne Planet

Der purpurne Planet

Titel: Der purpurne Planet
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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hinausgetrieben; eine Art Trennungsschmerz, wie ihm schien, oder eine Vorahnung davon. Er hatte sich eingestellt zugleich mit dem Gedanken an die Rückkehr zur Erde.
    Er war nun ganz sicher, daß seine Entscheidung nicht, wie er das eine Zeitlang gedacht hatte, schon gefallen war, und auch, daß sie in der nächsten Stunde fallen würde.
    Aber wie dahin kommen? Vielleicht so: Die Dinge sind nun erledigt, nehmen wir uns also die Menschen vor. Betrachten wir sie der Reihe nach, alle, oder auch nicht alle, das war vielleicht gar nicht nötig.
    Seltsamerweise fiel ihm zuerst Klaus Rudloff ein. Warum der? dachte Uwe. Wegen seiner Besessenheit? Nein, das wohl nicht. Aber mit Vater kann ich mich nicht vergleichen, sein Format habe ich nicht. Wieso übrigens vergleichen? Ach ja, wie sagte Rudloff? Neue Menschen sind neue Spiegel. Richtig. Also Rudloff, mit dem könnte ich mich vergleichen. Ich habe Fehler wie er. Ich bin auf meinen Beruf konzentriert wie er. Und nun der Unterschied: Es scheint, daß er in weit höherem Maße eine Persönlichkeit ist als ich. Und auch, daß er irgendwie glücklicher ist. Irgendwie ist Unsinn, er ist es. Innerlich reicher. Warum? Ganz klar: Er hat sein Leben einer einzigen Aufgabe untergeordnet. Mein Leben verläuft ruckweise: ein Auftrag. Ein anderer Auftrag. Noch ein ganz anderer Auftrag.
    Aber ist das nicht normal? Ihr ganzes Leben an eine Sache hängen, das können doch nur wenige, einfach schon von den objektiven Bedingungen her. Aber die hier können’s. Es ist eine andere Art Kollektiv, die da entsteht. Feste Bindungen fürs Leben. Bei mir ist das anders: Eine Besatzung wird ausgewählt. Man rauft sich zusammen – ein Vierteljahr. Man arbeitet gemeinsam – je nachdem, ein oder zwei Jahre. Man trennt sich. Feste Bindungen eigentlich nur zu zwei Menschen: Michael und Irina. Na ja, Reihenfolge natürlich umgekehrt.
    Ist das ein lockendes Ziel – eine Aufgabe und ein Kollektiv fürs Leben? Aber die Erde?
    Werde ich auf der Erde mehr Sehnsucht haben nach dieser Aufgabe und den Leuten hier; mit denen mich, na ja, mit denen mich wirklich schon eine Menge verbindet – oder hier nach der Erde? Ist das die richtige Frage? Wohl etwas krämerisch, wie – wo gibt’s ein Viertelpfund Sehnsucht mehr?
    Vielleicht nehme ich mich überhaupt zu wichtig? Ich bin stolz, daß ich mich frei entscheiden kann. Ich lasse mich ungern von materiell-technischen Erwägungen zu Entscheidungen über mein Leben zwingen. Ich vergleiche mich mit Rudloff. Vielleicht ist das meine Kauzigkeit, daß ich mich so groß schreibe?
    Na, na, ganz so ist es ja nicht, ich bin ja nicht eingebildet, ich sehe mich doch ziemlich objektiv. Und das mit den Entscheidungen ist ein Prinzip oder eine Gewohnheit oder beides – ein Kosmonaut kann immer einen Auftrag annehmen oder ablehnen, nach eigenem Ermessen, das ist nun mal so. Aber hier muß ich mir nun selbst einen Auftrag erteilen, und das ist neu.
    Nein, das stimmt auch nicht ganz. Verdammt, die Gedanken zerfasern. Ich muß nochmals zurückdrehen bis – ja, die anderen als Spiegel. Was denkt Rudloff über mich? Er denkt, der Kerl sollte hierbleiben. Und das denken alle andern auch, bis auf Irina, aber sie wirft kein Gegengewicht in die Waagschale. Warum denken sie so? Weil sie das Raumschiff brauchen? Ja, auch. Weil sie meine Arbeitskraft brauchen? Ja, auch. Ob Rudloff mich mag? Ja, hat er ja gesagt. Und Vater… Sibyl… Michael…
    Eine Aufgabe und ein Kollektiv fürs Leben. Und was wäre ich in diesem Kollektiv? Wo stünde ich?
    Hier beginnt ein neuer Gedankengang, dachte Uwe, erhob sich und ging auf die Station zu.

    Alle hatten sich im großen Saal der Station versammelt. War die Übergabe der Leitung von Jochen an Uwe seinerzeit unter dem Druck der Umstände kurz und formlos erfolgt, so sollte die Rückgabe nun in der gebührenden Art und Weise vollzogen werden. Jochen hatte Uwe auch gebeten, Schlußfolgerungen und Vorschläge für die weitere Arbeit zu unterbreiten, und Uwe hatte dazu sogar ein Manuskript ausgearbeitet.
    Die Erwartungen waren unterschiedlich. Interessiert waren alle, denn man durfte mit Recht annehmen, daß zumindest die Zusammenfassung der Entwicklungen, die sich in der letzten Zeit vollzogen hatten, jedem etwas Neues bieten würde – man hatte ja teilweise getrennt voneinander gearbeitet.
    Aber die Älteren – Jochen, Sibyl, Klaus und Uta und selbstverständlich Irina – spürten etwas, was den Jüngeren verborgen blieb: daß eine Entscheidung in
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