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Der Protektor (German Edition)

Der Protektor (German Edition)

Titel: Der Protektor (German Edition)
Autoren: Christina Czarnowske
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sagt er. „Also, gestern früh rief das Department an, man bat mich hinzukommen. Höflich wie immer. Und gab mir das Telefax aus Krongatan…“
    Der Kellner bringt die Tassen, Kännchen und eine Schale mit Gebäck. Er fragt, ob er eingießen soll, und entfernt sich.
    Simon Lalande fährt fort.
    Doktor Bresson ist vorgestern spätabends ums Leben gekommen. Er war mit dem Auto auf dem Weg nach Garvaregarden, in einer Kurve geriet er auf die linke Fahrbahn und stieß in voller Fahrt mit einem ihm entgegenkommenden Lastwagen zusammen.
    Eine klassische Situation. Ich wärme mir die Hände an der Tasse, sitze da und warte auf die Fortsetzung. Er schaut auf die Karte – deshalb habe ich sie ja aufgeschlagen! – und deutet auf eine Stelle: „Hier.“
    Der „Tiger“ der skandinavischen Halbinsel setzt zum Sprung über die Ostsee an. Weiter oben in Richtung der hinteren "Tatze“, schneidet ein schmaler, langer, mit kleinen Inseln übersäter Wasserarm in die Küste. Am Ende des Wasserarms liegt der ausgefüllte Halbkreis einer mit lateinischen Buchstaben geschriebenen Stadt: Krongatan. Links von der Stadt, ebenfalls am Ufer des Wasserarms, dicht bei den dunklen Kämmen des Gebirges ein winziger Kreis, bescheiden und unbedeutend: Garvaregarden.
    „Die Karte ist nicht allzu genau“, fügt Lalande hinzu. „Ich bin dort langgefahren, und was soll ich sagen, die Straße hat es wirklich in sich. Sie ist gefährlich.“
    Die Karte habe ich mir auch in Paris angeschaut, aber jetzt sieht es doch ziemlich anders aus. Selbst bei diesem ungünstigen Maßstab haben sich die Geodäten bemüht, ein, zwei Kurven der schmalen Straße einzuzeichnen.
    Die Linie der Überlandstraße endet in Garvaregarden, dahinter kommt das Meer, auf der anderen Seite sind die Berge.
    „Zu wem hat er gewollt?“
    Lalande wiegt den Kopf.
    „Ich weiß es nicht. Es ist ein kleiner Kurort, aber jetzt, im Herbst… Nein, niemand weiß etwas.“
    „Hat man mitgeteilt, wer der Fahrer des Lastwagens ist?“
    „Sofort. Ich habe sämtliche Auskünfte erhalten, die ich verlangt habe. Er sei verletzt und liege im Krankenhaus von Krongatan. Sie werden ihn für die Vermittlungen zur Verfügung halten, aber es ist nichts Besonderes…“
    „Inwiefern?“
    „Insofern, als er ein ganz gewöhnlicher Mensch ist. Rechtschaffen, Vater von zwei Kindern. Man verdächtigt ihn keines Vorsatzes. Da ist jedoch noch etwas anders.“
    Simon Lalande zieht ein paar zweifach gefaltete Blätter aus der Innentasche und gibt sie mir.
    „Da, sehen Sie… dort ist auch eine Übersetzung.“
    Es ist ein großer Zeitungsausschnitt. „Krongatan Tidning“, Datum vom Vortag. Drei Spalten klein gedruckter Text und zwei Fotos. Im Vordergrund ein völlig zusammengedrückter Peugeot, dahinter die Silhouette eines großen Lasters mit stumpfer Schnauze. Seitlich hält eine Ambulanz. Um das Auto herum ein paar Männer, darunter auch ein Arzt im weißen Kittel. Er verdeckt mit seinem Körper einen Teil der Tragbahre.
    Das zweite Foto zeigt fast dasselbe, doch aus anderer Perspektive. Dieses Mal sind auch zwei Polizisten auf dem Bild. Ein Stück weiter weg stehen ihre Motorräder.
    Ich sehe nach dem Autor. Der Name sagt mir selbstverständlich nichts. Irgendein Lundgren, wahrscheinlich Reporter des Lokalblattes. Ich überfliege rasch die Übersetzung. Eine bemerkenswerte, ziemlich bissige Reportage mit offenkundiger Abneigung gegen diese „Ausländer“, die regelmäßig Schuld an den schweren Verkehrsunfällen wären. Im vorliegenden Fall handle es sich um einen Franzosen, der sich wahrscheinlich betrunken ans Lenkrad gesetzt hatte. All das wird verstärkt durch unverhohlene Ironie gegenüber der Polizei, die wie üblich zu spät an Ort und Stelle erschienen sei (wie aus dem Foto ersichtlich!). Wofür zahlten die Krongataner Steuern? Für die saumselige Polizei? Dazu ein paar Anspielungen, die offensichtlich auf lokale Geschichten zielen.
    Dieser Lundgren scheint ein cleverer Journalist zu sein. Viel leere Worte, garniert mit – boshaften, versteht sich! – Milieuschilderungen, vorwiegend Stimmung und im Großen und Ganzen wenig Fakten.
    Doch unter den Fakten ist einer, der mich sofort aufmerksam werden lässt. Der Franzose soll so betrunken gewesen sein, dass er nicht einmal auf die Bremse getreten hat, als er auf die Gegenfahrbahn vor den Laster geriet.
    Er hat nicht versucht anzuhalten?
    Das ist wirklich sehr merkwürdig. Später Abend, Scheinwerferlicht, und Bresson braust in voller
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