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Der Paradies-Trick (Kindle Single) (German Edition)

Der Paradies-Trick (Kindle Single) (German Edition)

Titel: Der Paradies-Trick (Kindle Single) (German Edition)
Autoren: Barry Eisler
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endlich aus ihrem Stumpfsinn aufwachten. Doch in der Zwischenzeit kostete das mit Sicherheit noch mehr, viel mehr Menschen das Leben.
    Sie seufzte. Wenn Rain das nur begreifen könnte, dann würde er vielleicht auch verstehen, warum sie nicht einfach aussteigen konnte. Jedenfalls noch nicht. Wie sollte sie in dem Wissen weiterleben, dass sie Massaker und Katastrophen – was immer deren Ursache war – hätte verhindern können, und stattdessen untätig daneben gestanden hatte?
    Fatima sprach zwanzig Minuten lang und zielte mit ihrem Appell auf Amerikas ureigenste Werte und Interessen ab. Immer wieder wurde sie von Applaus unterbrochen. Delilah beobachtete sie durch das Objektiv und schoss in regelmäßigen Abständen Fotos. Sie mochte die Distanz, die die Kamera ihr gestattete. Manchmal brauchte sie das.
    Fatima schloss mit den Worten: »Einer der größten aller Amerikaner, Martin Luther King, hat das verstanden. King sagte: ›Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben; nur Licht kann das. Hass kann Hass nicht vertreiben; nur Liebe kann das.‹ Bitte, Herr Verteidigungsminister, lernen Sie aus diesen Worten. Wenden Sie sich ab von der Dunkelheit. Wenden Sie sich ab vom Hass. Bevor wir alle davon verzehrt werden.«
    Sie stieg von der Kiste, umflutet von tosendem Applaus und Bravorufen. Die TV-Reporterin eilte mit dem Mikrofon in der Hand und ihrem Kameramann im Schlepptau heran. Delilah fiel auf, dass Fatima nicht ein einziges Mal ihre toten Brüder erwähnt hatte. Sicher wusste ihr Publikum davon, also bezweckte sie damit vielleicht, dass ihre eigentliche Zielgruppe, die der harten Männer, die nicht leidenschaftlich, sondern kalt und geduldig hassten, diese Zurückhaltung würdigte und in ihr ein Band sah, das auf geteiltem, aber unausgesprochenem Schmerz beruhte. Ein Band, das sie erst zu ihr und dann zu ihrem Bruder und der Möglichkeit führen würde, ihren Hass endlich ekstatisch auszuleben. Denn ist es nicht so, dass der Meister erscheint, wenn der Schüler bereit ist?
    Delilah begann sich durch die Menge zu schlängeln. Sie war sich bewusst, dass Fatima der Feind war. Aber diese Erkenntnis lag tief in ihrem Kopf vergraben, zusammen mit allen Details ihrer wahren Identität und ihrer Loyalitäten, abgeschirmt vom Bewusstsein wie ein eigenständiger, verborgener Maschinencode ohne gegenwärtige Relevanz für den Ablauf des externen Programms. Sie war eine Fotografin, die hier einen Auftrag zu erledigen hatte. Fatima bot sich als Thema für eine faszinierende Story an. Sie hoffte, dass sich alles positiv entwickelte – und das Magazin zufrieden war.
    Fatima sprach immer noch mit der Reporterin, die nicht viel mehr zu tun schien, als sie zu bitten, das zu wiederholen, was sie gerade durchs Megafon gesagt hatte. Delilah wartete an der Seite, im Bereich von Fatimas peripherem Gesichtsfeld, und freute sich, dass sie ihren Blick kurz auf sich lenkte. Als die Reporterin mit ihrem Kameramann abzog, musste Delilah nur einen Schritt vortreten. Fatima wandte sich ihr bereits zu.
    »Vielen Dank für Ihre Ansprache«, sagte Delilah und streckte die Hand aus. »Sie war sehr schön und bewegend. Ich hoffe, der Verteidigungsminister hat sie gehört.«
    Fatima schüttelte Delilahs ausgestreckte Hand mit festem, zuversichtlichem Griff. In einem anderen Leben, dachte Delilah, hätte diese Frau Model sein können. Oder ein Filmstar. Natürlich wusste sie, dass die Leute von ihr das Gleiche dachten. Schönheit war ein unfairer Vorteil – ohne sie hätte Fatima sie jetzt möglicherweise ignoriert oder gar nicht erst wahrgenommen.
    »Vielleicht hat er sie vernommen«, sagte Fatima. »Aber sie hören niemals zu.«
    Delilah erkannte einen Ansatzpunkt. »Vielleicht kann ich da behilflich sein. Mit meinen bescheidenen Mitteln.«
    Fatima legte den Kopf schief. »Behilflich …?«
    Delilah hielt bereits eine Visitenkarte in der Hand und reichte sie Fatima. Sie stellte sich vor und umriss rasch die Tarngeschichte, die sie auf Kents USB-Stick vorgefunden hatte – ein Modemagazin aus Paris hatte sie hergeschickt, um Fatima zu fotografieren. Es sollte ein ziemlich ausführlicher Bericht sein, und sie wollte dafür sorgen, dass es die Titelstory der Ausgabe wurde. Die meisten Leute hätten sich um die Publicity gerissen, die Delilah damit anbot, und sie hatte erwartet, dass Fatima den Köder schlucken würde. Daher war sie überrascht, als sie sagte: »Ich fühle mich geschmeichelt und kann nicht leugnen, dass ich Mode liebe – es ist
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