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Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
Autoren: Don DeLillo
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bislang noch nicht passiert, nicht hier. Und er versuchte, sich an das andere zu gewöhnen, das noch nicht passiert war, das gewissermaßen nie passieren sollte. Angesprochen zu werden. Die Frau, die irgendwie neben ihm stand, änderte jede Regel der Abgrenzung.
    Er schaute auf die Leinwand, versuchte zu überlegen, was er sagen sollte. Er hatte einen guten Wortschatz, außer wenn er mit jemandem sprach.
    Schließlich flüsterte er: »Der Privatdetektiv. Mann auf dem Rücken.«
    Es war ein verkrampftes Flüstern, und er war nicht sicher, ob sie ihn gehört hatte. Aber die Reaktion kam fast sofort.
    »Will ich wissen, wer ihn ersticht?«
    Wieder musste er einen Moment überlegen, bevor er sich zu einer Antwort entschloss. Er entschloss sich zu der Antwort nein.
    Er sagte es: »Nein«, und schüttelte den Kopf, um Endgültigkeit anzuzeigen, und sei es nur sich selbst.
    Er wartete eine Zeit lang, beobachtete Hand und Messer in der Bildmitte, isoliert, und wieder kam sie, die Stimme, die weit von einem Flüstern entfernt war.
    »Ich will nach einer langen traditionellen Krankheit sterben. Und Sie?«
    Das Interessante an dieser Erfahrung war bis jetzt gewesen, dass sie ganz ihm gehörte. Niemand wusste, dass er hier war. Er war allein und unbemerkt. Es gab nichts zu teilen, nichts von anderen zu nehmen, nichts zu geben.
    Jetzt das. Aus heiterem Himmel, spaziert in das Kabinett, stellt sich neben ihm an die Wand, spricht ihn im Dunkeln an.
    Er war größer als sie. Das immerhin. Er sah sie nicht an, aber er wusste, er war größer, irgendwie, ein bisschen. Musste nicht hinschauen. Er spürte es, fühlte es.
    Die blonden Kinder quengelten hinter ihren Eltern her und zur Tür hinaus, und er stellte sich vor, dass sie für immer Schwarz-Weiß hinter sich ließen. Er beobachtete, wie Janet Leighs Schwester und Janet Leighs Liebhaber im Dunkeln redeten. Er bedauerte den Verlust des Dialogs nicht. Er wollte es nicht hören, brauchte es nicht. Er würde den echten Film, den anderen Psycho, nie wieder sehen können. Dies war der echte Film. Er sah alles hier zum ersten Mal. So viel geschah in einer bestimmten Sekunde, nach sechs Tagen, zwölf Tagen, einhundertzwölf, zum ersten Mal gesehen.
    Sie sagte: »Wie wäre das wohl, in Zeitlupe zu leben?«
    Wenn wir in Zeitlupe leben würden, wäre dieser Film nur einer von vielen. Aber er sagte das nicht.
    Stattdessen sagte er: »Das ist wohl Ihr erstes Mal.«
    Sie sagte: »Alles ist mein erstes Mal.«
    Er wartete darauf, dass sie ihn fragte, wie oft er hier gewesen sei. Er war immer noch dabei, sich an die Gegenwart eines anderen Menschen zu gewöhnen, aber hatte er sich das nicht in den vergangenen Tagen gewünscht, einen Filmgefährten, eine Frau, jemand, der über den Film diskutieren, die Erfahrung bewerten wollte?
    Sie sagte zu ihm, sie befinde sich eine Million Meilen außerhalb all dessen, was sich auf der Leinwand abspielte. Das gefalle ihr. Sie sagte zu ihm, die Vorstellung von Langsamkeit gefalle ihr überhaupt. So viele Dinge vergingen so schnell, sagte sie. Wir bräuchten Zeit, um das Interesse an Dingen zu verlieren.
    Entweder konnten die anderen sie nicht hören, oder es war ihnen egal. Er sah stur geradeaus. Er war sich sicher, dass das Museum schließen würde, bevor der Film tatsächlich sein Ende erreichte, das Ende der Geschichte, Anthony Perkins in eine Decke gewickelt, die Augen von Norman Bates, das näher kommende Gesicht, das kranke Lächeln, der lange vielsagende Blick, der komplizenhafte Blick zu dem Menschen da draußen im Dunkeln, der zusah.
    Er wartete immer noch darauf, dass sie ihn fragte, wie oft er hier gewesen sei.
    Tag um Tag, würde er sagen. Nicht mehr mitgezählt.
    Was ist Ihre Lieblingsszene, würde sie fragen.
    Ich nehm’s Augenblick für Augenblick, Sekunde für Sekunde.
    Ihm fiel nicht ein, was sie wohl als Nächstes sagen würde. Er dachte, er würde gern kurz rausgehen, auf die Herrentoilette, und in den Spiegel schauen. Haare, Gesicht, Hemd, dasselbe Hemd die ganze Woche, sich nur kurz anschauen, dann die Hände waschen und schnell zurückkommen. Er stellte sich die Räumlichkeiten im Voraus vor, Herrentoilette, sechster Stock, er musste sich selbst sehen, für den Fall, dass sie bis Toresschluss bliebe und sie gemeinsam das Kabinett verließen und im Licht stünden. Was würde sie sehen, wenn sie ihn anschaute? Aber er blieb, wo er war, Blick auf der Leinwand.
    Sie sagte: »Wo sind wir, geografisch?«
    »Der Film beginnt in Phoenix,
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