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Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
Autoren: Don DeLillo
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Trauben von Autos und LKW s, rumpelnder Verkehr, vier Spuren, und mein Handy klingelte. Ich hielt einen Moment inne, dann riss ich es von meiner Hüfte und sagte Ja. Keine Reaktion. Ich sagte Ja und warf einen Blick auf das Display. Unterdrückte Nummer . Ich sagte Ja, hallo, und sprach lauter. Keine Reaktion. Ich sah Elster an. Er hatte jetzt die Augen offen, den Kopf zu mir gewandt, wacher, als ich ihn seit einer Woche gesehen hatte. Ich sagte Ja und warf einen Blick auf das Display. Unterdrückte Nummer . Ich drückte den Aus-Knopf und ließ das Handy in die Halterung gleiten, die an meinem Gürtel festgehakt war.
    Ich hasste Autobahnfahren, dichterer Verkehr jetzt, Autos schossen quer über die Fahrspuren. Ich richtete den Blick auf die Straße. Ich wollte ihn nicht ansehen, wollte keine Fragen oder Spekulationen hören. Ich dachte sechs Dinge gleichzeitig. Die Mutter. Sie hatte sich im Schlaf an seinen Namen erinnert. Ich dachte, irgendjemand ruft mich zurück. Sonst nichts, sonst konnte es nichts sein, jemand, den ich kannte, erwiderte meinen Anruf von gestern Abend oder von irgendwann heute Morgen, Freund, Kollege, Vermieter, wacklige Leitung, Übertragung fehlgeschlagen. Was hieß das? Das hieß, dass sich bald wieder Stadt ereignen würde, New York nonstop, Gesichter, Sprachen, Baugerüste überall, Taxiströme um vier Uhr nachmittags, mit aufleuchtenden Außer-Dienst-Schildern.
    Ich stellte mir meine Wohnung vor, wie fern sie mir erscheinen würde, selbst in dem Moment, wenn ich durch die Tür trat. Mein Leben auf einen Blick, alles da, Musik, Filme, Bücher, das Bett, der Schreibtisch, die versengte Emaille um die Herdplatten. Ich stellte mir ein klingelndes Telefon vor, in dem Moment, wenn ich eintrat.

Anonymität 2
    4. September
    Norman Bates, erschreckend unauffällig, legt den Hörer auf.
    Der Mann stand an der Wand, vorausdenkend. Er hatte damit angefangen, Szenen zu überspringen, Szenen schnell durchlaufen zu lassen, vor dem geistigen Auge, bis Toresschluss war es nicht mehr lange hin. Er wollte nicht auf seine Armbanduhr schauen. Er versuchte, seine Ungeduld zu beherrschen, alle Energie auf die Leinwand zu richten, zu sehen, was jetzt passierte.
    Die Tür, die ewig langsam aufgleitet.
    Der Streifen Licht von drinnen, der über den Boden kriecht, während sich die Tür weiterbewegt.
    Der Schatten der Tür, der unter der Tür verschwindet.
    Diese abstrakten Momente, nur Form und Maßstab, das Teppichmuster, die Maserung der Dielenböden, alles zwang ihn zu absoluter Hellwachheit, Auge und Geist, und dann die Aufnahme von oben, der Treppenabsatz und der Angriff auf Arbogast.
    Seine Besuche in dem Kabinett vermischten sich nahtlos im Gedächtnis. Er konnte sich nicht erinnern, an welchem Tag er eine bestimmte Szene gesehen hatte oder wie oft er bestimmte Szenen gesehen hatte. Konnte man sie Szenen nennen, so ruhig gestellt, wie sie waren, das rohe Werden einer Bewegung, der lange Bogen von Hand zu Gesicht?
    Er war auf Position, wie immer, auf seiner Position, Körperkontakt zur Nordwand. Menschen, unsicher durchschlendernd, rein und raus. Sie würden länger bleiben, dachte er, wenn es Stühle oder Bänke hier gäbe. Aber jedwedes Sitzarrangement würde das Konzept sabotieren. Die karge Szenerie und die Dunkelheit und die gekühlte Luft und der Aufseher, der reglos an der Tür stand. Der Aufseher reinigte die Situation, machte sie köstlicher und seltener. Was beaufsichtigte er? Die Stille vielleicht. Oder die Leinwand selbst. Die könnten ja an der Leinwand hochklettern und sie zerfetzen, Touristen aus den Kinopassagen.
    Das Stehen gehörte zur Gunst der Kunst, der Stehende nimmt teil. Das war er, am sechsten Tag in Folge war er hier, dem letzten Tag der Installation. Es würde ihm fehlen, in diesem Raum zu sein und dass es ihm freistand, manchmal um die Leinwand herumzugehen und alles von der Rückseite her zu betrachten, die Linkshändigkeit der Menschen und Gegenstände zu bemerken. Aber immer wieder zurück an die Wand, in Körperkontakt, sonst hätte er sich womöglich ertappt, wobei, er war sich nicht sicher, bei einer Grenzüberschreitung, beim Übergang von diesem Körper in ein zuckendes Bild auf der Leinwand.
    Die öden Teile des ursprünglichen Films waren nicht mehr öde. Sie waren wie alles andere, außerhalb aller Kategorien, Zutritt erlaubt. Daran wollte er glauben. Aber in gewissen Momenten gab er der Leinwand bereitwilliger nach, das räumte er ein, der Leinwand ohne Figuren, der
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