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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain
Autoren: Courtney Miller Santo
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wochenlang mit anderen auf einem engen Schiff eingepfercht gewesen war, konnte ihr Vater Menschenmassen nicht mehr ertragen. Mit gerümpfter Nase lief er durch die Stadt und murrte, dass er den Gestank satt habe und sich lieber nach einer Gegend mit milderem Klima umsehen wolle.
    Als er loszog, blieben Wealthy, Anna und die Mutter in einem Wohnheim und bewachten den Familienschatz, der aus sechs Holzkisten voller Wurzelstöcke bestand. Soweit Anna sich erinnern konnte, waren es bei der Abfahrt in Brisbane noch mehr Kisten gewesen, doch nicht alle hatten die Reise heil überstanden. Jahrelang benutzten die Eltern die Kisten als Nachttischchen, erst als beide tot waren, warf Anna sie auf den Müll und bestellte neue. Danach wünschte sie manchmal, sie hätte es nicht getan, doch damals war ihr noch nicht klar, dass auch Gegenstände eine Geschichte erzählen konnten, und diese Kisten hatten den Wurzelstock von Percys späterem Olivenhain enthalten.
    Am Ende konnten sie nur die Hälfte der Pflanzen retten. Das Geld, mit dem sich die Familie ein Haus bauen wollte, investierte der Vater in einjährige Bäume aus Spanien, denen er Teile seiner Wurzelstöcke aufpfropfte. Frühe Chroniken über seinen Beitrag zum Aufbau der Stadt Kidron verzeichneten Reisen zu verschiedenen Missionsstationen, in deren verlassenen Hainen er die gesunden Triebe verwilderter Bäume einsammelte. Als er merkte, wie gut sein Wurzelstock mit den fremden Trieben auf Kidrons Boden gedieh, erlaubte er sich einen Funken Hoffnung. Die Bäume wuchsen schnell, innerhalb eines Jahres erreichten sie Ausmaße wie in Brisbane erst nach drei Jahren. Er rechnete aus, dass bereits in sechs und nicht erst in zehn Jahren genug Oliven erntereif sein würden, um die Schulden abzuzahlen und einen ersten Gewinn einzufahren.
    Aber auf dem Weg zum schnellen Erfolg war Geld weiterhin ein Problem. Der Vater hatte nicht genug Geld auf der hohen Kante, um die ersten sechs Jahre zu überbrücken. Er musste Leute finden, die an seine Vision glaubten, mit kleinen Pflanzungen von zehn oder zwanzig Morgen eine ganze Familie zu ernähren.
    James Mayfield und John Woodburn, zwei einflussreiche Großgrundbesitzer aus Tehama County, glaubten an Percy und liehen ihm Geld. Man wartete ab, bis der Verlauf der neuen Eisenbahnstrecke endgültig feststand, dann wurde die Gründung der Maywood-Kolonie feierlich bekannt gegeben. Das Ackerland von Mayfield und Woodburn wurde in kleine Parzellen zu zehn Morgen Land aufgeteilt, jede Parzelle mit neunzig Bäumen pro Morgen bestückt, und dann schaltete man in Zeitschriften landesweit Anzeigen und versprach möglichen Investoren hundertprozentigen Profit. Was auch fast stimmte. Jedenfalls warfen die Plantagen bald genug ab, um den Käufern die rasche Tilgung der Kredite für Haus und Boden zu gestatten und die Lebenshaltungskosten zu decken. Mayfield und Woodburn heuerten Percy zur Pflege der Olivenhaine an und beteiligten ihn finanziell zu einem geringen Prozentsatz am Verkauf der Grundstücke.
    Der Plan ging auf. Jeder Viertklässler in Kidron lernte später im Heimatkundeunterricht, dass Percy ein weitsichtiger Mann gewesen war – ein Visionär, der früh erkannte, dass der Westen zu Wohlstand kommen würde, wenn man Menschen anlockte, die weder reich noch arm waren und mehr Raum haben wollten, als der überfüllte Osten zu bieten hatte. Attraktiv war die Sache auch für junge Farmer, die nicht nur Vieh züchten oder von schwankenden Getreidepreisen abhängen wollten und nach neuen Chancen suchten. Das Risiko einer Missernte war gering, und so garantierte der Olivenanbau ein sicheres Einkommen.
    Doch vor dem großen Erfolg – und das war die Maywood-Kolonie tatsächlich – musste Percy noch ein Friedensabkommen mit George Kidron schließen, einem Mann, dem die Erfolge anderer Menschen ein Dorn im Auge waren. Als Begründer von Kidron war er eine Autorität, deren Meinung zählte. Zur neu gegründeten Maywood-Kolonie war seine Haltung eindeutig: Er prophezeite ihr Scheitern und schalt Percy einen ausländischen Betrüger, der die Menschen hier in Kalifornien abzocken wollte. Sein boshaftes Gepolter machte die neuen Investoren nervös, und sie baten Percy, das zu klären. Percy hatte für Menschen dasselbe Gespür wie für Ackerboden. Ihm war schnell klar, dass George nicht verschmerzen konnte, dass sein Dorf nicht ans Eisenbahnnetz angeschlossen war. Zum Ausgleich bot Percy ihm an, Kidron einfach umzusetzen.
    Für dieses wichtige Stück
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