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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch
Autoren: Volker Kutscher
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Mangel zu nehmen. Krajewski hatte ihnen auf dem Baugerüst verraten, dass der Fotograf seiner begabten Truppe auch eine Filmkarriere eröffnet hatte. Das war nichts
     Ungewöhnliches. Nachdem die Pornographie in den vergangenen Jahren stark angewachsen war, in immer größerer Zahl schmutzige
     Hefte auf der Straße oder unter der Ladentheke verkauft wurden, hatte auch der Bodensatz der Berliner Filmindustrie die Verdienstmöglichkeiten
     erkannt, die so genannte Aufklärungsfilme boten. In Hinterzimmern und illegalen Nachtlokalen wurden sie den Eingeweihten gezeigt.
     Meist in den besseren Gegenden im Westen der Stadt, denn der Eintrittspreis lag weit über dem einer normalen Kinovorführung.
     Oft nahmen sich die reichen Herren gleich einige Gespielinnen mit in die Vorstellung, um das auf der Leinwand Gezeigte sogleich
     in die Praxis umsetzen zu können. So etwas konnte einer wie König niemals alleine stemmen, dazu brauchte es Hintermänner.
     In der Filmindustrie, im organisierten Verbrechen der Stadt und auch in den besseren Kreisen im Westen. Krajewski nannte keinen
     Namen, sosehr sie ihm auch zusetzten. Vielleicht wusste er wirklich nichts. Aber immerhin hatten sie ein paar Informationen,
     um König zu überraschen. Vielleicht sogar den Ansatzpunkt, um den Pornographiering auszuhebeln.
    Rath untersuchte das Projektil, das Wolter ihm gegeben hatte. Unscheinbar, klein und glänzend. Und doch hätte es ihn das Leben
     kosten können. Er schaute den Onkel an, der gerade einen träumenden Radfahrer auf dem Oranienplatz aus dem Weg hupte. Hatte
     der Mann mit dem gemütlichen Gesicht ihm das Leben gerettet? Jedenfalls hatte er ihn rausgehauen aus einer brenzligen Situation.
     Nichts in der Welt gab Gereon Rath das Recht, Bruno Wolter zu kritisieren. Er hatte gegen ein paar Vorschriften verstoßen,
     na und? Vielleicht war es ja wirklich so: In dieser kalten, großen Stadt herrschte eine andere, härtere Gangart als in Köln.
     Daran sollte er sich besser gewöhnen.
    »Wenn du hier was werden willst, darfst du nicht zimperlich sein«, meinte Wolter. Rath wunderte sich, wie gut der Kollege
     sein Schweigen deutete.
    »Hier was werden? Bei der Sitte?«, fragte er.
    »Was soll denn das heißen? Uns geht’s doch nicht schlecht! Wir treiben uns beruflich im Nachtleben der spannendsten Stadt
     der Welt herum. Und der verrufensten. Das hat doch was. Also, ich möchte nicht tauschen. Dass manche Kollegen schon mal die
     Nase rümpfen über unsereinen, daran gewöhnt man sich.«
    Rath schaute Wolter an, der wieder geradeaus auf den Verkehr starrte. »Warum arbeitest du eigentlich nicht in der Inspektion
     A? Mit deinen Kontakten und deinen Fähigkeiten?«
    »Bei den Mordermittlern? Wenn die meine Fähigkeiten brauchen und meine Erfahrung und meine Kontakte, dann sollen sie mich
     fragen. Ich bin nicht wild drauf, bei denen mitzuarbeiten.«
    »Aber sie haben einen guten Ruf!«
    »Natürlich. Gennats Truppe, die Lieblinge der Presse, die Lieblinge der feinen Gesellschaft! Raub und Mord, das bringt mehr
     Anerkennung als Schmutz und Schund.« Wolter schaute ihn an, als taxiere er seinen Wert. »Ist aber gar nicht so einfach, da
     reinzukommen, Gennats Leute sind handverlesen. Da musst du schon einen Knüller hinlegen. Einen echten Knüller. Ein fickender
     Kaiser reicht da nicht.« Er lachte. »Aber tröste dich: Auch wir normalsterblichen Kriminalbeamten dürfen ab und zu mal im
     Olymp arbeiten. Die Inspektion A leiht sich regelmäßig Beamte aus anderen Inspektionen aus. Dann darfst du dich austoben und
     Mordkommission spielen. Aber glaub mir: So spannend, wie du glaubst, ist eine Mordermittlung nicht.«
    »Kommt drauf an.«
    »Auf was?«
    »Ich war früher auch Mordermittler. Langeweile hatte ich jedenfalls keine.«
    Das hatte er noch keinem in Berlin erzählt. Polizeipräsident Zörgiebel war der Einzige, der die Personalakte Gereon Rath vollständig
     kannte. Und Zörgiebel hatte seinem alten Duzfreund Engelbert Rath Stillschweigen garantiert. Nicht einmal Kriminalrat Lanke
     kannte die dienstliche Vergangenheit seines neuen Beamten in allen Einzelheiten. Wolter schaute ihn nur kurz an, zog eine
     Augenbraue hoch und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr.
    »Und? Fehlen dir die Leichen?«, fragte er nach einer Weile.
    Rath musste schlucken. Ein bleiches Gesicht tauchte in seinen Gedanken auf, ein bleicher Körper, ein blutverkrustetes Einschussloch
     in der Brust.
    Er blickte schweigend aus dem Fenster. Wolter
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