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Der Narr und der Tod

Der Narr und der Tod

Titel: Der Narr und der Tod
Autoren: Charlaine Harris
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Stunde schien vergangen, als ich endlich vor der Tür stand.
    Aus der Wohnung drangen leise Geräusche.
    Ich biss mir fest auf die Unterlippe und stieß die Tür mit den Fingerspitzen vorsichtig auf, streckte den Arm hindurch und drückte den Lichtschalter gleich beim Eingang. Helles Licht strömte durch die Wohnung. Ich nahm mir die Zeit, um nach Reginas Leiche, nach Blutspuren, nach Anzeichen für einen Kampf zu suchen.
    Nichts.
    Nur diese leisen Geräusche, die nicht aufhören wollten.
    Schließlich wagte ich mich in die Wohnung, wobei ich mich weiterhin vorsichtig in alle Richtungen umsah. Von unten her rief mir Martin etwas zu, aber ich antwortete nicht. Mein Atem ging schnell und ungleichmäßig. Draußen trommelten immer schwerere Regentropfen auf die Treppenstufen und sorgten dafür, dass ich mich hier oben in der kleinen Wohnung noch isolierter fühlte.
    Die Schranktür stand offen. Im Schrank hingen Kleider, bei denen ich davon ausging, dass sie Regina gehörten. Auf dem Esstisch lag ihr Koffer, aufgeklappt, zu beiden Seiten hingen weitere Kleidungsstücke heraus, die Regina wohl hastig hineingestopft hatte, statt sie ordentlich einzupacken. Die Badezimmertür stand weit offen, auf der Ablage herrschte ein wüstes Durcheinander aus Schminksachen und Waschutensilien.
    Von meiner Position bei der Tür konnte ich so ziemlich den ganzen Raum einsehen – bis auf den Fußboden auf der anderen Bettseite. Nur kam ausgerechnet von dort das Geräusch.
    Tapfer ging ich um das Bett herum. Das, was mich dort erwartete, konnte auch nicht schlimmer sein als das, was ich bereits gesehen hatte – das versicherte mir zumindest ein Teil meines Hirns.
    Erst einmal war nichts zu sehen. Bis auf die Falten des Bettüberwurfs, die sich auf Teppichniveau leicht bewegten. Ich fiel auf die Knie, beugte mich vor, hielt die Luft an und hob den Saum der Tagesdecke.
    Unter dem Bett lag das Baby. Es strampelte mit den Beinen, winkte mit beiden Armen und fing wohl gerade an, sich aufzuregen, dass seine Mutter sich seiner nach dem Schläfchen nicht angenommen hatte. Hayden wirkte völlig in Ordnung. Sein roter Strampler wies keinen einzigen Fleck auf.
    Reginas Auto fehlte, und sie selbst hielt sich nirgendwo in der Wohnung auf.

    Ganz sicher dachte ich an jenem Abend nicht ganz klar. Zuerst hielt ich die Anwesenheit des Babys und dessen körperliche Unversehrtheit für gute Zeichen, was natürlich auch stimmte, aber Martin hatte sich nicht nur um Hayden gesorgt. Als ich auf den Treppenabsatz trat, um ihm zuzurufen, dem Baby ginge es gut, aber Regina sei verschwunden, erinnerte mich der Ausdruck auf seinem Gesicht daran, dass jemand den jungen Mann auf der Treppe ermordet hatte. Wer kam als Erstes als Axtmörder in Frage? Die verschwundene Regina. Martin lehnte reglos an der Garagenwand, die Arme vor der Brust verschränkt, Haare und Mantel dunkel vor Nässe. So passiv hatte ich ihn noch nie erlebt. Sein seltsames Verhalten traf mich wie ein Schlag auf die Brust.
    „Du musst die Polizei rufen“, drängte ich, woraufhin ich im Gesicht meines Mannes Zorn aufflammen sah. Martin mochte es nicht, wenn man ihn aufforderte, die Polizei zu benachrichtigen, doch meine Gegenwart zwang ihn dazu, das Richtige zu tun. Wahrscheinlich hatte er gerade überlegt, wie sich diese Sache anders regeln ließ, das sah ich ihm an der Nasenspitze an. Er war eben im tiefsten Herzen Pirat.
    Unter dem einen Scheibenwischer des fremden Autos, das Nummernschilder aus Ohio hatte, wie mir jetzt auffiel, klemmte irgendetwas. Nasser, als ich bereits war, konnte ich kaum mehr werden, also ging ich vorsichtig die Treppe hinunter und hinüber zum Wagen, wo ich die durchgeweichte Masse vorsichtig mit dem Finger berührte. Es handelte sich um ein zusammengefaltetes Stück Papier, wahrscheinlich eine Nachricht. Noch konnte ich schwache blaue Striche erkennen, die wohl einst Buchstaben gewesen waren. Eine Nachricht; von wem und mit welchem Inhalt würde ich jetzt nie mehr erfahren.
    Oben in der Wohnung begann das Baby zu schreien. Laut und eindringlich, die Schreie hallten in der kalten Nachtluft weit. Irgendwer würde den Kleinen gewiss hochnehmen, dachte ich benommen, sich um seine Bedürfnisse kümmern. Als das nicht geschah, hatte ich das, was meine Freundin Lizanne als Moment der Erkenntnis bezeichnete: Haydens Mutter war verschwunden, sein Vater Craig (ich war mir ziemlich sicher, dass es sich bei der Leiche auf unserer Treppe um Craig handelte, auch wenn ich den Mann nur
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