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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar
Autoren: Minette Walters
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Bier – eines zum Mittagessen und eines zum Abendessen – manchmal auch zwei. Aber mit den Sauftouren ist's vorbei. Die hab ich total aufgegeben. Ich rauch immer noch hin und wieder mal einen Joint, aber doch eher selten, schon weil mir die Kohle fehlt.«
    Sophie war beeindruckt. Melanie hatte zu Beginn ihrer Schwangerschaft vierzig Zigaretten pro Tag geraucht und den krönenden Abschluss jeder Woche darin gesehen, samstags in irgendwelchen Kneipen bis zum Umfallen zu trinken und zu kiffen. Selbst wenn man im Hinblick darauf, dass Süchtige sich gern selbst in die Tasche logen, ein paar Abstriche machte, war diese Reduzierung, die sie nun offenbar seit zwei Monaten durchhielt, eine enorme Leistung.
    »Klasse«, sagte Sophie kurz und einfach. Sie setzte sich aufs Sofa und rückte zur Seite, um Rosie Platz zu machen.
    Sie fand zwar wie Fay Baldwin, dass die Kinder ein Bad dringend nötig hatten, aber um das körperliche und seelische Befinden der beiden brauchte man sich wirklich kaum Sorgen zu machen. Sie waren robust und selbstbewusst, und sie wünschte, einige ihrer besser situierten Mittelstandspatienten würden sich an der Patterson-Erziehungsmethode ein Beispiel nehmen. Die meisten von ihnen zogen ihre Kinder so pingelig und steril auf, dass sie unweigerlich früher oder später zu Allergietests aufkreuzten, weil die lieben Kleinen unablässig schnieften und hüstelten. Als wäre Bleiche ein Ersatz für natürlich gebildete Abwehrkräfte. Es war wirklich zum Haareausraufen.
    »Tja, wär nicht schlecht, wenn diese Ziege, die Baldwin, auch so denken würde«, sagte Melanie brummig, als sie mit dem Tee wieder ins Zimmer kam. »Sie hat mich angeschaut wie eine Verbrecherin, bloß weil ich mit einem Bier und einer Zigarette vor der Glotze saß. Wenn sie gefragt hätte, hätt ich ihr sagen können, dass es an dem Tag meine Erste war, aber sie ist nicht so wie Sie... Sie denkt immer nur das Schlechteste von den Leuten.«
    »Wann war sie denn hier?« Sophie setzte Ben wieder auf den Boden und nahm einen Becher Tee entgegen.
    Melanie ließ sich neben ihr auf's Sofa plumpsen. »Ich weiß gar nicht mehr genau – irgendwann letzte Woche – Donnerstag... Freitag... Sie war so richtig stinkig. Hat mich angekläfft wie ein bissiger Terrier.«
    Also nachdem sie bereits erfahren hatte, dass sie abgelöst werden würde. Sophie war verärgert. »Hat sie etwas darüber gesagt, dass ich eine der jüngeren Betreuerinnen gebeten habe, ihren Job hier zu übernehmen?«
    »Nein. Sie hat mich nur zur Schnecke gemacht, wie immer. Wie ist denn die Neue?«
    »Flippig«, antwortete Sophie und trank von ihrem Tee. »Pinkfarbene Haare – schwarze Lederkluft – Doc Martens – fährt Motorrad und findet Kinder toll. Sie beide kommen bestimmt prima miteinander aus.«
    »Na, das scheint ja Gott sei Dank was andres zu sein als diese verbiesterte alte Zicke.« Melanie umschloss ihren Becher mit beiden Händen und starrte nachdenklich in den milchweißen Tee, während sie überlegte, wie sie die Frage angehen sollte, die sie auf dem Herzen hatte. Direkt oder auf Umwegen? Sie entschied sich für den Umweg. »Was halten Sie von Pädophilen?«, fragte sie.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Würden Sie einen behandeln?«
    »Ja.«
    »Auch wenn Sie wüssten, dass er sich an Kindern vergriffen hat.«
    »Ja, auch dann.« Sophie lächelte über Melanies finsteres Gesicht. »Ich hätte gar keine Wahl, Mel. Es ist meine Pflicht. Ich kann mir die Patienten nicht aussuchen. Was wollen Sie denn wirklich wissen?«
    »Es würde mich nur interessieren, ob bei Ihnen in der Praxis welche sind.«
    »Soviel ich weiß nicht. Ihre Namen sind nicht schwarz angestrichen.«
    Melanie glaubte ihr nicht. »Wieso weiß dann Miss Baldwin, dass bei uns in der Straße einer wohnt, und Sie nicht?«
    Sophie war bestürzt. »Wovon reden Sie?«
    »Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht seinen Namen geben – wenigstens den, unter dem er hier abgestiegen ist. Wissen Sie, alle glauben, er wär neu hier, aber ich frag mich, ob er nicht schon die ganze Zeit hier wohnt.« Sie wies mit wedelnder Hand zum Fenster. »Auf Nummer acht wohnt so ein alter Knacker, der letztes Jahr ungefähr ein halbes Jahr verschwunden war. Hinterher sagte er, er hätte seine Verwandten in Australien besucht. Der könnte es sein, wenn Sie mich fragen. Der macht sich immer auf so ne schmierige Art an Rosie ran und erzählt ihr, wie hübsch sie ist.«
    Sophie war durcheinander. »Was genau hat Fay Baldwin zu Ihnen
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