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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten
Autoren: Corina Bomann
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Erinnerungen heimgesucht zu werden, die alles verdarben, war so übermächtig, dass sie sich damit begnügte, durch den ­Botanischen Garten zu wandern, wenn ihr mal die Decke auf den Kopf fiel.
    Nach einer Dreiviertelstunde erreichte Lilly den Flughafen Tegel, wo sie sogleich eincheckte. Zwischendurch ging ihr Handy los, ohne dass sie rangehen konnte. Nachdem sie ihr Gepäck aufgegeben hatte und endlich nachsehen konnte, entdeckte sie eine Nachricht von Ellen auf ihrer Mailbox. Darin teilte diese ihr mit, dass Lilly nach ihrer Ankunft am besten gleich zu ihrem Haus fahren sollte, dort hätte sie etwas für sie vorbereitet.
    Lilly lächelte in sich hinein, als sie wieder auflegte. Auch wenn sie unter Stress stand, ließ es sich Ellen nicht nehmen, für alles Vorkehrungen zu treffen.
    Beim Einsteigen ins Flugzeug erntete sie wegen ihrer Geige einen verwunderten Blick der Flugbegleiterin, doch diese sagte nichts und verlegte sich darauf, unverbindlich zu lächeln. Lilly hatte es nicht übers Herz gebracht, das gute Stück mit dem restlichen Gepäck aufzugeben. Glücklicherweise war es leicht genug, um als Handgepäck durchzugehen.
    Beim Versuch, den Kasten in die Gepäckablage zu hieven, scheiterte Lilly aufgrund ihrer eigenen geringen Größe.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Männerstimme auf Englisch.
    Als Lilly den Kopf umwandte, blickte sie zunächst auf eine von einem anthrazitfarbenen Hemd bedeckte Brust, dann ­hinauf in das Gesicht eines etwa vierzig Jahre alten Mannes, das von lockigem, leicht graumeliertem Haar umgeben wurde. Ein Typ wie aus der Werbung, schoss es Lilly durch den Sinn. Und obwohl sie eigentlich der Meinung war, das mit dem Geigenkasten irgendwie hinzubekommen, nickte sie und antwortete auf Englisch: »Ja, das wäre sehr freundlich.«
    Der Engländer verstaute den Geigenkasten, dann fragte er: »Sind Sie Musikerin?«
    Lilly schüttelte den Kopf. »Ich habe das Instrument geschenkt bekommen und möchte es jetzt begutachten lassen.«
    »Und Sie selbst spielen nicht?«
    Lilly schüttelte den Kopf. »Nein, ich verkaufe Antiquitäten.«
    »Was für ein Jammer. Sie würden sicher eine gute Figur auf der Bühne abgeben.«
    War das ein Kompliment? Lilly spürte, wie sie rot wurde.
    »Ich glaube, man müsste mich auf einen Hocker stellen, damit man mich auf der Bühne sieht«, versuchte sie ihre Verlegenheit zu überspielen. Es war schon so lange her, dass ein Mann mal was Nettes zu ihr gesagt hatte.
    Der Fremde lachte herzlich auf. »Da sage noch mal einer, die Deutschen haben keinen Humor!« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Gabriel Thornton und freue mich schon sehr darauf, den Flug mit Ihnen zu verbringen.«
    »Lilly Kaiser«, entgegnete sie ein wenig verlegen und stellte fest, dass Mr Thornton in derselben Sitzreihe seinen Platz hatte wie sie.
    Zwischen ihnen war zwar ein Platz frei, doch als der Mann, der eigentlich dort saß, anrückte, gelang es dem Engländer, ihn auf ganz charmante Art dazu zu überreden, mit ihm den Platz zu tauschen. Ein guter Tausch, denn immerhin hatte er einen Fensterplatz anzubieten. Einen Platz, den er aufgab, nur um mit ihr zu reden …
    Kurz nachdem sie abgehoben hatten, erfuhr Lilly, dass Mr Thornton eine Musikschule in London leitete und nebenbei Musikwissenschaften unterrichtete. In Berlin war er wegen einer Serie von Gastvorlesungen, die am Tag zuvor zu Ende gegangen waren. Während er sprach, ertappte sie sich dabei, wie sie sich an seinem Mund, seiner Nase und seinen Augen festguckte. Um es etwas weniger auffällig wirken zu lassen, senkte sie den Blick, doch auch seine Hände waren eine Augenweide. Kräftig, aber dennoch geschmeidig und vor allem sehr gepflegt – die Hände eines Musikers.
    »Und wie hat Ihnen Berlin gefallen?«, fragte Lilly, während es in ihrer Magengrube noch immer kribbelte – jetzt allerdings irgendwie anders als am Bahnsteig. Noch immer war sie voller Erwartungen, aber nun kam noch hinzu, dass sie ihren Gesprächspartner äußerst sympathisch fand.
    »Eine schöne Stadt. Und schön zu sehen, dass sie nicht mehr von einer Mauer geteilt wird.«
    »Das wird sie doch schon seit zwanzig Jahren nicht mehr«, entgegnete Lilly amüsiert. Konnte es sein, dass man im ­Ausland immer noch erwartete, den Todesstreifen vorzufinden?
    »Ob Sie es mir glauben oder nicht, aber mein letzter Besuch hier war 1987, und da gab es die Mauer noch.«
    »Sie waren also als Student hier.«
    Thornton nickte. »Ja, voller Hoffnungen und
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