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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Autoren: Peter May
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den Sinn, die Frucht einer Beziehung damals in Schottland, die sich aufgelöst hatte und zu Ende ging, als Kirsty noch ein Kind war. Er dachte an all die verpassten Gelegenheiten, all die Dinge, die sie in den vielen Jahren des Getrenntseins nie miteinander hatten teilen können. Irgendwie hatte er immer gehofft, das alles eines Tages nachzuholen, es wiedergutmachen zu können. Bis zu einem gewissen Grad waren sie sich wieder nähergekommen, doch sie war immer noch verletzt und empfindlich und hielt ihn auf Abstand. Nun wurde ihm von jetzt auf gleich die Zeit genommen, die er sich immer mit ihr gewünscht hatte, und die Reue lastete umso schwerer auf ihm.
    Enzos Blick wanderte über die dichtgedrängten Dächer am Fuß des Hügels, bis er an den Zwillingskuppeln der Kathedrale hängenblieb. Sie waren vollkommen rund, wie die Brüste einer Frau, mit kurzen gusseisernen Blitzableitern gleich aufgerichteten Brustwarzen. Er dachte an all die Frauen, die er gekannt hatte, diejenigen, die er geliebt, diejenigen, die er im Stich gelassen hatte, und diejenigen, die ihn in den Wahnsinn getrieben hatten. Er schüttelte den Kopf und verzog den Mund zu einem wehmütigen Lächeln. Das lag nun alles hinter ihm. Das Spiel war fast vorbei. Was blieb, war das Warten auf den Pfiff des Schiedsrichters am Ende der Nachspielzeit.
    * * *
    Er bahnte sich einen Weg zwischen den leeren Tischen auf der Terrasse vor dem Restaurant Lampara hindurch und öffnete die Tür zum Treppenhaus. Mit schweren Schritten stieg er hinauf und hoffte, dass Sophie nicht da war.
    Als er eintrat, rief er nach ihr und war erleichtert, wie ihm Stille entgegenschlug. Im Wohnzimmer riss er die Balkontüren auf und ließ kalte Luft hereinströmen. Die Bäume hatten schon fast das ganze Laub abgeworfen; nun lag es als dicke Schicht hartgefroren zwischen den Autos auf dem Parkplatz. Erst als er sich wieder umdrehte, sah er das rote Lämpchen am schnurlosen Telefon blinken. Jemand hatte angerufen und eine Nachricht hinterlassen. Am liebsten hätte er es ignoriert. Egal, worum es gehen mochte, es war für ihn ab sofort ohnehin belanglos. Doch während er halbherzig die Papiere auf seinem Schreibtisch durchging, blinkte es weiter am Rand seines Blickfelds, bis es ihm auf die Nerven ging. Er nahm das Telefon und drückte die Abspieltaste, bevor er den Hörer ans Ohr hielt. Als er Kirstys Stimme hörte, zuckte er zusammen.
    «Dad …? Wo steckst du? Nie bist du da. Du musst bitte nach Straßburg kommen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Jemand hat versucht, mich umzubringen.»
    Er spielte es noch zwei Mal ab, dann legte er auf. Wenn es einen triftigen Grund gab, weiterzuleben, dann hatte er ihn gerade gefunden.

Kapitel sieben
    Commissaire Hélène Taillard hielt sich etwas darauf zugute, dass sie es als eine von gerade mal sechs Frauen in der Geschichte der Republik bis zur Polizeichefin eines der hundert «Departements» gebracht hatte. Vor drei Jahren war sie im Departement Lot vom Rang eines «Inspecteur» zu dem eines «Commissaire» befördert worden und hatte im Präsidium der Police Nationale am Place Bessières im Norden von Cahors ein großes, behagliches Büro bezogen.
    Nach einem Anruf vom Tatort hatte ihr Fahrer sie am frühen Nachmittag ins Zentrum zum westlichen Ende der Rue Victor Hugo chauffiert, welche die Stadt am Südende der Flussschleife von Ost nach West durchquerte. Jetzt stieg sie aus und zupfte an ihrer blauen Uniformjacke, die ihr am üppigen Busen hochgerutscht war. Sie war eine attraktive Frau, Mitte vierzig, doch falls ihre männlichen Kollegen von ihrer femininen Erscheinung auf ein nachgiebiges Wesen geschlossen hatten, so sahen sie sich schnell eines Besseren belehrt. Hélène Taillard war eine gute Polizistin, mindestens so tough wie jeder Mann, der es so weit gebracht hatte. Wer ihr gegenüber loyal war, hatte ihre volle Rückendeckung, doch wehe dem, der ihr in die Quere kam. Sie hatte sich von ihrem Mann getrennt, als beiden klar wurde, dass ihr die Karriere wichtiger war als die Ehe.
    Vor dem Haus standen mehrere Polizeiautos mit blinkendem Blaulicht. Zwei weiße, nicht gekennzeichnete Transporter der Spurensicherung standen auf dem Bürgersteig gegenüber. Weiß-blau gestreiftes Absperrband flatterte in der eisigen Brise, die vom schiefergrauen Fluss herüberwehte.
    Das Haus war in zwei Wohnungen unterteilt, eine im Erdgeschoss und eine darüber. Das Opfer war oben aufgefunden worden. Commissaire Taillard stieg die Treppe zum
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