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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis
Autoren: Thomas Raab
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den Park. Keiner der durch den Schnee jagenden Hunde zeigt eine Reaktion, einzig die Korbschaukel verliert an Schwung. Ein größerer Junge, der bisher vorsichtig, aber beherzt dem Gejohle eines Mädchens Anstoß verliehen hat, steht mit hängenden Schultern hinter dem Holzgerüst, während die Kleine schweigsam auspendelt. Eine der anwesenden Mütter kommt von hinten mit einem Rucksack zu ihm, legt ihre Hände tröstend auf seine Schultern, stoppt die Korbschaukel und hebt das Mädchen heraus. Dann stehen die drei umarmt im Schnee. Ein neuerlicher Pfiff, gefolgt von einem strengen: »Berni, her da!«, löst auch diese Idylle auf. Der Junge ergreift seinen Rucksack, die Zerrissenheit steht ihm ins Gesicht geschrieben, wenig später nimmt der stämmige Mann den Buben grob an der Hand und der Metzger die dritte Runde in Angriff, und es ist eine anstrengende dritte Runde, zumindest emotional. Da kommt ihm nämlich gleich die Erinnerung an seine eigene Kindheit, an die eigene Verzweiflung ob der plötzlich veränderten Normalität. Vom Kind zum Scheidungskind, zum alleinerzogenen Kind, zum Halbwaisen trotz lebender Erzeuger, das geht für die uneingeweihte Brut oft dermaßen rucki-zucki, da kann ein Zeugungsakt nicht mithalten.
    Ebenso rucki-zucki sind sie weg, der Junge und der Mann, der vielleicht sein Vater ist. Was auch immer in dieser Familie für Verhältnisse vorherrschen, unschwer ist für den Metzger zu erkennen, es sind Verhältnisse, die ein Kind verhalten werden lassen.
    Entsprechend nachdenklich absolviert er also seine dritte Runde, an deren Ende die Dinge ihren Lauf nehmen. Und es sind seltsame Dinge. Alles beginnt mit einer Lektion hinsichtlich kommender Erziehungsaufgaben, die dem Metzger unmissverständlich verdeutlichen: Die dafür nötigen Zutaten beginnen alle mit Be: Bedrohen, Belügen, Belohnen, gegebenenfalls Bestrafen.
    »Mein Gott, kaum passt man einmal nicht auf die Kinder auf! Jakob! Gehst du bitte runter von der Anna, die mag keinen Schnee essen! Im Schnee kann alles Mögliche sein, Hundelulu, Vogelgagsi, Spucke, pfui ist das, da kann man sterben, und das tut weh. Geh, Hanni, kannst du deinem Bub nicht ein bisschen die Leviten lesen!«, lässt nun jene Mutter von sich hören, die gerade den großen Jungen mit seinem Rucksack auf den Weg geschickt hat.
    »Jako-hob, hast du die Maria gehört, runter von der Anna, oder soll ich dem Papa erzählen, dass seine Fischerl im Aquarium nicht irgendwelche Bakterien umgebracht haben, sondern zwei Geschirrspüler-Tabs. Runter! Deinen Schokopudding kannst du heute jedenfalls vergessen. Hundertprozentig!«
    »A-ha-na. Wenn du dem Jakob immer so wild die Haube runterziehst, brauchst du dich aber wirklich nicht wundern, wenn er dir … Komm jetzt her. Anna, kommst du. Kommst du bittehe! Sag, wenn du nicht gleich … Bekommst auch ein Gummibärli. Brav. Setz dich. Mein Gott, nicht in den Schnee, da wird die Hose patschnass, auf die Bank natürlich, zu mir. Wozu schlepp ich eigentlich die Schaumstoffunterlagen mit. Na geh, blöd, ich glaub, die Bärlis hab ich jetzt dem Berni mitgegeben. Bleibst trotzdem ein bisserl bei mir sitzen, jetzt, wo du schon da bist, gell, und isst schön brav dein Obst. Annnna, nein! Finger weg, das ist nur was für Erwachsene, das gehört der Tante Hannelore. Geh Hanni, was lässt du das auch so offen herumstehen!«
    Dann toben nicht nur die Kinder, sondern auch die Mütter:
    »Maria, ganz ehrlich, wenn der Anna deine braunen Apfel- und Bananenscheiben nicht schaden, die da in dem Tupperware-Behälter vor sich hin gären und die dir wahrscheinlich nicht einmal der Sandler dort hinten abnehmen würde, wird sie an dieser einen Nuss auch nicht zugrunde gehen!«
    »Na klar, die Frau Berger reicht ihrem eigenen Kind als Zwischensnack täglich ein paar Nüsse, in diesem Fall Wasabinüsse – Anna, Nein hab ich gesagt, hörst du mich –, außerdem sieht mir das gewaltig nach Milchschnitte aus, mit dem du deinen Jakob alle dreißig Minuten mästest, bis er platzt. Tipp: Frag ihn mal, was ihm lieber ist, dein japanisches Dosenfutter und das kohlensäurefreie Nobelmineralwasser oder mein Obst und der Apfelsaft?«
    »Und das Gummizeugs, mit dem du deine Tochter gefügig machst. Ernährungstechnisch auch nicht gerade ein überzeugendes Gesamtpaket. Abgesehen davon ist das ja auch meine Jause und nicht die von Jakob.«
    »Deine Jause! Ist ja auch wirklich notwendig, sich als Mutter für die Zeit am Spielplatz einen eigenen Imbiss
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