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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler
Autoren: Will Lavender
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…« Er schwieg, ließ seinen Blick hinter sie schweifen, als durchsuche er den Wald hinter seinem kleinen Haus. »Ich würde sterben, sollte dir irgendetwas zustoßen. Zuerst würde ich die Person töten, die es getan hat, und dann das Beil gegen mich selbst erheben. Das verspreche ich dir.«
    Bevor sie losfuhr, schaute sie noch einmal zum Haus. Sie sah ihn dort an einem Fenster. Er beobachtete ihre Abfahrt.
    Später, als sie nach Jasper zurückkehrte, besuchte Alex einen vertrauten alten Freund.
    Und dann begann sie, sie anzurufen, einen nach dem anderen, bis alle, die noch übrig waren, zugestimmt hatten, zurückzukehren und das Leben Michael Tanners zu ehren.

Der Kurs
    1994
    5
    »Lassen Sie uns anfangen.«
    Das Bild von Dr. Richard Aldiss auf dem Fernsehschirm schien ein bisschen zu wackeln, dann blieb es ruhig. Neun Gesichter starrten ihn an, warteten darauf, dass der Professor mit seiner Vorlesung begann. Sie fragten sich, ob er ihnen etwas über das, was er vor zwölf Jahren getan hatte, erzählen würde. Die zwei Morde (ein Beil, wurde vermutet, aber die Mordwaffe wurde nie gefunden), die entsetzlichen Tatorte auf dem Campus der Dumant University … Niemand wusste, ob das zur Sprache kommen würde. Er sollte eigentlich nicht über das Verbrechen reden, aber Aldiss wirkte nicht wie ein Mann, der sich an die Spielregeln hält.
    »Was ist Literatur?«, fragte der Professor jetzt.
    Niemand im Raum sagte etwas. Die Stille brummte.
    Aldiss lächelte leicht, lehnte sich vor. Sein Blick, lauernd und düster, mit einem Anflug von schwarzem Humor, huschte hin und her, durchsuchte sie.
    »Mr Tanner«, sagte er, er las den Namen von einer Klassenliste, die jenseits der Kamera lag. »Bitte sagen Sie uns, was Sie glauben, was Literatur ist.«
    Der Junge namens Michael Tanner meldete sich zu Wort. Seine Stimme brach, als er zum Bildschirm sprach.
    »Literatur ist eine Büchersammlung«, sagte er. »Der Kanon.«
    »Und was ist der Kanon, Ihrer Meinung nach?«
    »Faulkner, Joyce, Woolf. Vor allem die Modernisten.«
    Ein Schatten huschte über Aldiss’ Gesicht. »Die Modernisten haben so viele gute Dinge ausgelöscht.«
    Der Junge zuckte zurück.
    »Mr Kane«, sagte Aldiss. »Was ist Literatur?«
    »Literatur ist das Gefühl, das sich beim Lesen eines Buchs einstellt«, sagte Christian Kane, ein schmaler Junge in der zweiten Reihe. Er trug eine Jeansjacke mit schmuddeligen Flicken auf den Ärmeln. Er versuchte, sich größer zu machen, als er tatsächlich war, sich auf die Höhe derjenigen zu bringen, die ihn stets überragten. Es funktionierte, aber nur gerade so. Es funktionierte, weil Kane hochintelligent war.
    »Ah, ein Mann der Gefühle. Das gefällt mir, Mr Kane. Und sagen Sie mir, welche Gefühle stellen sich bei Ihnen ein, wenn Sie Isaac Babel lesen? Oder Boris Pilnyak, der nicht rehabilitiert werden konnte und von einem Erschießungskommando umgebracht und liegen gelassen wurde, sodass die Vögel an ihm picken konnten? Oder Dostojewski? Was fühlen Sie, wenn Sie die Szene über Raskolnikows Beil in Verbrechen und Strafe lesen?«
    Beil . Das Wort klang im Hörsaal nach, vibrierte um sie herum. Jeder saß still, wartete angespannt darauf, dass etwas Schlimmes geschehen würde.
    Das tat es nicht. Richard Aldiss verzog keine Miene, es schien, als habe er nicht einmal einen Fehler begangen. Vielleicht sollte dieses eine Wort, dieses beiläufige Beil , hier ausgesprochen werden. Vielleicht hatte er es schon im Voraus in diese Vorlesung eingebaut, das Wort in seine Notizen aufgenommen. War er diese Art Mann?, fragten sie sich. War er die Sorte, die Psychospielchen mit ihren Studenten spielte?
    »Ich fühle mich abgestoßen«, sagte Kane. »Wie jeder.«
    »Jeder?«
    »Jeder, der Empathie für die geistig Normalen empfindet.«
    Aldiss lachte. Ein schnelles, bissiges pscha .
    »Wissen Sie, was ich empfand, als ich Dostojewski zum ersten Mal gelesen habe?«, sagte Aldiss. »Ich habe es als echte Aufklärung empfunden. Denn Raskolnikow bleibt nicht ungestraft für seine Verbrechen an seiner metaphorischen Schwester und Mutter. Er ist wirklich kein Supermann. Das, was ich fühlte, als ich dieses Buch zum ersten Mal gelesen habe, dieses Gefühl war Traurigkeit. Ich war ebenfalls nicht dazu bestimmt, Supermann zu sein. Ich war auch dazu bestimmt, nicht ungestraft zu bleiben.«
    Der Professor schien die Stirn zu runzeln, dieser blasse Schatten huschte wieder über sein Gesicht. Die beiden Wächter hinter ihm bewegten sich.
    »Ms
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