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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman
Autoren: C.H.Beck
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pfeifend zum Frühstück erschien, nutzte ich die anscheinend gute Laune und sagte: ‹Ich würde mir gerne in der Stadt ein Zimmer nehmen.› Mein Vater hörte auf zu pfeifen und aß sein Vier-Minuten-Ei schweigend. Ich hörte das Blut in den Schläfen rauschen.
    ‹So, so, nachdem deine Schwester uns so schmählich verlassen hat, willst du also auch gehen›, sagte mein Vater, dann drückte er mit dem Daumen die Eierschale im Becher zusammen: ‹Dein Studium ist, na ja, es ist eine Katastrophe. Du wirst es nie zu einem befriedigenden Abschluss bringen. Für eine akademische Laufbahn hast du nicht das Zeug. Deshalb bin ich nicht länger bereit, deine fruchtlosen Bemühungen zu finanzieren.› Sorgfältig faltete er seine Serviette und schob sie in den mit seinen Initialen gekennzeichneten Ring. Eine Stimmlage tiefer fuhr er fort: ‹Ich habe dir einen Vorschlag zu machen: Du hängst dein Studium an den Nagel undfängst zum nächsten Ersten eine Banklehre an. Ich habe mit Stadelheim schon gesprochen, er nimmt dich.›
    Undenkbar! In einer Bank zu arbeiten war für mich undenkbar. Ich hatte keine Vorstellung, was für mich als Beruf infrage kommen könnte. Irgendwas mit Ethnologie, was genau, wusste ich nicht. Ich hatte nichts, was ich dem Vater entgegenhalten konnte. ‹Ich will …› stieß ich hervor, dann versagte mir die Stimme.
    ‹Ich weiß, was du sagen willst›, sagte mein Vater. ‹Du willst dich bei mir bedanken. Aber das musst du nicht. Schließlich bist du mein einziger Sohn und ich fühle mich verantwortlich für dich.› Und dann nach einer Pause: ‹Ich gebe dir bis morgen Mittag Zeit, dich zu entscheiden. Stadelheim wartet auf Antwort. Du wirst dich ihm vorstellen und bei der Gelegenheit wird er dir einen Auszug für ein auf deinen Namen eingerichtetes Konto überreichen. Auf dieses Konto habe ich als Vorerbe einen Betrag von einhunderttausend Mark überweisen lassen. Solltest du keine Vernunft annehmen, wird Stadelheim den Scheck zerreißen, du wirst hier ausziehen und kannst fortan mit keiner Unterstützung mehr von mir rechnen.›»
    Endlos waren die Stunden der Nacht, ausweglos das Labyrinth, in dessen Gängen und Windungen Bernhard versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Als seine Augen begannen, vor Müdigkeit zu schmerzen, kam ihm die Idee. Zur vorgegebenen Stunde stand er vor seinem Vater. «Ja», sagte er, «ich nehme deinen Vorschlag an. Und ich danke dir für deine Großzügigkeit.» Sie sahen sich an wie Fremde. «Er ist ein Schwächling», dachte der eine. «Ich bin ein Betrüger», der andere. Darauf schüttelten sie sich die Hände, als wäre ein Geschäft zu besiegeln.
    Dr. Holzer beobachtete Bernhard mit Verständnis und einer Zuneigung, die ihn daran hinderte, Egon von Riederer über den Verbleib seines Sohnes zu berichten. Ihm war klar, was es bedeutete, dass Bernhard das Geld seines Vaters angenommen hatte, ohnedessen Bedingung zu erfüllen, aber Vorhaltungen machte er ihm deswegen nicht.
    ***
    Während die anderen Passagiere in eine Lähmung verfielen, die Dr. Holzer als Äquator-Syndrom diagnostizierte, entdeckte Bernhard sein Interesse für Hände. Schlüsselerlebnis war der Anblick von zwei auf dem Rücken verschränkten Händen eines Herren, der erster Klasse reiste. Während der Mann scheinbar gelassen an der Bar stand, führten die Hände, als wären sie von ihm losgelöst, eine spiralförmige Bewegung aus. Beim zweiten Hinsehen wurde Bernhard klar, was sich da abspielte: Mit kontrollierter Gewalttätigkeit probten sie einen Würgegriff. Sie würden ihr Opfer finden.
    Erst verschämt, mit der Zeit ganz ungeniert beobachtete Bernhard die Mitreisenden und machte sich Notizen: Hände, im Schoß gefaltet oder als Greifwerkzeuge eine Flasche haltend, aggressive und entspannte Hände, zur Faust geballt oder gespreizt, unterm Kinn, auf den Knien oder in die Hüften gestemmt. Immer war er mit einem handlichen Zeichenblock unterwegs und hielt, was er sah, mit einer für ihn ganz untypischen Besessenheit in Skizzen fest. Wenn jemand wissen wollte: «Was machen Sie denn da?», sah er auf dessen Hände und antwortete ausweichend: «Man muss sich doch irgendwie die Zeit vertreiben.»
    Eines Nachts wachte Bernhard auf von der Stille, die ihn umgab. Es war eine ungewohnte, beängstigende Stille wie vor einem Unwetter. Etwas fehlte. Er lag starr, als wäre es riskant, sich zu bewegen. Ein permanentes, allgegenwärtiges Geräusch, an das er sich gewöhnt hatte, wie an das Pochen seines
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