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Der Mann, der sich in Luft auflöste

Der Mann, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Mann, der sich in Luft auflöste
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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sagte er. »Ich dachte, es sei meine Verlobte.«
    Martin Beck erkannte ihn sofort wieder. Es war derselbe Mann, den Molin ihm im Tennstopet am Tag vor seiner Reise nach Budapest gezeigt hatte. Eine sympathische, angenehme Erscheinung. Ruhiger blauer Blick.
    Ziemlich kräftige Statur. Er hatte einen Bart und war mittelgroß, aber das war, wie auch im Fall des belgischen Studenten Roeder, das Einzige, was an Alf Matsson erinnerte.
    »Wir sind von der Polizei. Mein Name ist Beck. Das ist der Erste Kriminalassistent Kollberg.«
    Sie grüßten einander steif und höflich.
    »Kollberg.«
    »Gunnarsson.«
    »Dürfen wir einen Augenblick hereinkommen?«, fragte Martin Beck.
    »Ja, natürlich. Worum geht es denn?«
    »Wir möchten vor allem über Alf Matsson sprechen.«
    »Deswegen war doch gestern schon einer von der Polizei da.«
    »Das wissen wir.«
    Kaum waren Martin Beck und Kollberg in der Wohnung, veränderte sich ihr Auftreten. Und zwar bei beiden gleichzeitig, und ohne dass es ihnen selbst bewusst war. Alles scheinbar Angespannte, Unsichere und Wachsame verschwand und machte einer routinierten Ruhe und mechanischen Entschlossenheit Platz, die zeigte, dass die beiden wussten, was passieren würde, und dass sie dergleichen schon früher erlebt hatten.
    Sie gingen wortlos durch die Wohnung. Die war hell und geräumig und mit Sorgfalt und Überlegung eingerichtet, vermittelte aber irgendwie den Eindruck, noch nicht ernsthaft bewohnt zu werden. Viele der Möbel waren neu und sahen aus, als stünden sie noch im Schaufenster des Einrichtungshauses. Zwei der Zimmer hatten Fenster zur Straße, das Schlafzimmer und die Küche gingen zum Hof. Die Badezimmertür stand offen, und drinnen brannte Licht. Offensichtlich war der Mann gerade bei seiner Morgentoilette gewesen, als sie an der Tür geklingelt hatten. Im Schlafzimmer standen zwei breite Betten nebeneinander, und in dem einen hatte bis vor kurzem jemand gelegen. Auf dem Nachttisch neben dem benutzten Bett sahen sie eine halbleere Flasche Mineralwasser, ein Glas, zwei Tablettenröhrchen und ein gerahmtes Foto. In dem Zimmer gab es noch einen Schaukelstuhl, zwei Hocker und einen Frisiertisch mit Schubladen und verstellbarem Spiegel. Das Foto zeigte eine junge Frau mit blonden Haaren, gleichmäßigen, frischen Gesichtszügen und sehr hellen Augen. Sie war ungeschminkt. Um den Hals trug sie eine geflochtene Silberkette. Martin Beck erkannte, dass es eine sogenannte Bismarckkette war; vor sechzehn Jahren hatte er seiner Frau auch so eine Kette geschenkt. Sie gingen zurück ins Arbeitszimmer. Der Rundgang war beendet.
    »Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte Gunnarsson. Martin Beck nickte und setzte sich in einen der Korbstühle am Schreibtisch, der auf beiden Seiten Schubladenschränkchen hatte und offensichtlich für zwei Personen gedacht war. Der Mann im Bademantel blieb stehen und blickte Kollberg hinterher, der aus dem Zimmer ging, um sich nochmal in der Wohnung umzusehen.
    Manuskriptpapier, Bücher und Zeitschriften waren säuberlich auf dem Tisch gestapelt. In der Schreibmaschine steckte eine angefangene Seite, und neben dem Telefon stand ein weiteres gerahmtes Foto. Martin Beck erkannte darauf sofort die Frau mit der Silberkette und dem hellen Blick wieder. Dieses Foto war jedoch im Freien aufgenommen worden. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen und lachte den Fotografen an.
    Der Wind zauste ihr das strubbelige Haar. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann im Bademantel höflich.
    Martin Beck fing seinen Blick auf. Er war immer noch ruhig und fest. Im Zimmer war es still. In einem anderen Teil der Wohnung, vermutlich im Bad oder in der Küche, hörte man Kollberg mit etwas hantieren.
    »Erzählen Sie, was passiert ist«, sagte Martin Beck.
    »Wann denn?«
    »In der Nacht auf den 22. Juli, nachdem Sie und Matsson die Operabar verlassen hatten.«
    »Das habe ich doch schon erzählt. Wir trennten uns auf der Straße. Ich nahm ein Taxi und fuhr nach Hause. Er musste nicht in dieselbe Richtung und wartete auf das nächste.«
    Martin Beck legte den Unterarm auf die Tischkante und betrachtete die Frau auf dem Foto.
    »Darf ich mal Ihren Pass sehen?«, fragte er.
    Der Mann ging um den Schreibtisch herum, setzte sich und zog eine der Schubladen auf. Der Korbstuhl knarrte freundlich.
    »Bitte sehr«, sagte der Mann.
    Martin Beck blätterte in dem Pass. Er war alt und abgegriffen, und der letzte erkennbare Eintrag war ganz richtig ein Einreisestempel vom 1o.
    Mai aus
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