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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah
Autoren: Georges Simenon
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und die Damen, denen sie begegnete, hatten die Köpfe abgewandt.
      »Nun ja, ich habe Pamela ausgehalten… Ich habe sie im Carlton in Amsterdam untergebracht, wo sie mir die Bekanntschaft mit reizenden Kolleginnen vermittelte. Begreifen Sie allmählich, Herr Popinga? Sie sind noch nicht zu betrunken, um zu verstehen, was ich sage? Benutzen Sie die Gelegenheit, ich beschwöre Sie! Wenn Sie morgen über all das nachdenken, werden Sie ein anderer Mensch und vielleicht stellen Sie noch etwas an im Leben…«
      Er lachte. Er trank, er füllte sein Glas und das seines Kumpanen, dessen Augen sich zu verschleiern begannen.
    »Ich weiß, das ist ein bißchen viel fürs erste Mal, aber
    ich werde für eine zweite Lektion nicht die Zeit haben… Machen Sie sich alles, was Sie davon brauchen können, zu eigen… Denken Sie an den armen kleinen Dummkopf, der Sie waren… Warten Sie! Wollen Sie einen Beweis?… Ich werde Ihnen einen geben, auf Ihrem eigensten Gebiet. Sie haben doch Ihr Kapitänspatent und sind stolz darauf… Die Firma Julius de Coster besitzt fünf Klipper, die zu Ihrem besonderen Aufgabenbereich gehörten. Und da haben Sie nicht bemerkt, daß einer davon immer nur Schmuggelware geladen hatte und ein anderer auf meinen Befehl versenkt wurde wegen der hohen Versicherungssumme!«
      Von diesem Augenblick an trat eine unerwartete Wendung ein. Kees überkam zu seiner eigenen Überraschung eine unnatürliche Ruhe. Vielleicht die Wirkung des Alkohols? Jedenfalls regte sich überhaupt nichts in ihm; er schien geduldig auf das zu hören, was man ihm sagte.
      Immerhin… Da war der Name der fünf Klipper!… Eleonore I, Eleonore II, Eleonore III und so weiter bis fünf! Immer der Name von Frau de Coster, derselben, die Kees vorhin im Neglige, aus einer langen Zigarettenspitze rauchend gesehen hatte und die, nach den Worten ihres Gatten, die Geliebte von Dr. Claes war!
      Und das war noch nicht der ganze Frevel! Über Julius de Coster junior und seiner Frau gab es noch jemand, eine scheinbar auf immer übergeordnete Instanz: Julius de Coster senior, Vater des Jüngeren und Gründer der Firma, der trotz seiner dreiundachtzig Jahre Tag für Tag in einem düsteren Büro thronte.
    »Ich möchte wetten«, sagte jetzt sein Sohn, »daß Sie nicht wissen, wie dieser Schuft von Vater sein Vermögen gemacht hat… Das war während des Krieges in Transvaal. Er schickte lauter veraltete Munition hinunter, die er zu niedrigstem Preis in belgischen und deutschen Fabriken aufkaufte. Jetzt ist er so senil, daß man ihm die Hand führen muß, wenn er etwas unterschreiben soll… Noch eine Flasche, Chef! Trinken Sie, lieber Herr Popinga… Morgen, wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie diese meine Rede vor unseren wackeren Mitbürgern wiederholen. Ich werde, jedenfalls offiziell, dann schon tot sein!…«
      Kees mußte eigentlich total betrunken sein, und doch entging ihm kein einziges Wort, kein einziger Gesichtsausdruck. Nur kam es ihm vor, als spiele sich die Szene in einer unwirklichen Welt ab, in die er aus Versehen geraten sei, und wenn er erst einmal wieder da heraus wäre, würde er in den Alltag zurückfinden.
      »Im Grunde bekümmert mich das am meisten um Ihretwillen… Aber Sie haben ja darauf bestanden, Ihre Ersparnisse in meinem Geschäft anzulegen. Eine Weigerung von meiner Seite hätte Sie aufgebracht. Und Sie haben sich doch eine Villa auf Abzahlung bauen müssen, so daß, wenn Sie jetzt die Jahresraten nicht aufbringen können…«
      Er gab plötzlich einen erschreckenden Beweis seiner Gefühlskälte, indem er fragte:
    »Richtig! Ist der Verfallstermin nicht Ende Dezember?«
    Es schien ihm aufrichtig leid zu tun.
      »Ich schwöre Ihnen: Ich habe alles getan, was ich konnte. Ich habe eben kein Glück gehabt, das ist es! Eine Spekulation in Zucker hat alles zunichte gemacht, und ich will lieber anderswo ganz neu anfangen, als mich mit diesen gespreizten Dummköpfen herumzuschlagen… Verzeihung! Ich meine nicht Sie damit. Sie sind ein guter Junge, und wenn Sie anders erzogen worden wären… Auf Ihr Wohl, mein lieber Popinga!…«
    Diesmal hatte er nicht »H err Popinga« gesagt.
      »Glauben Sie mir, die Leute verdienen nicht all die Mühe, die man sich gibt, damit sie gut von einem denken… Die sind einfach dumm! Die verlangen von einem, daß man sich tugendhaft gibt, und dabei betrügen alle um die Wette… Ich möchte Sie nicht kränken, aber mir kommt plötzlich der Gedanke an Ihre Tochter,
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