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Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Titel: Der Mann auf dem blauen Fahrrad
Autoren: Lars Gustafsson
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Hintermann überfahren werden können. Dies war ein eiliger Zug von hungrigen Lemmingen, die alle auf Fahrrädern ohne Gangschaltung auf dem teuflisch steilen Oxbacken tüchtig in die Pedale traten. Wie sollte ein so kleiner und hilfloser Kolonialwarenhändler diesen mächtigen Menschenstrom aufhalten können?
    Einmal in der Stunde konnte er dem Jungen für zehn Minuten den Laden überlassen, um einen Zigarillo der Marke Tärnan zu rauchen. Um den wechselnden Gespenstern des Misserfolgs in den schwachen blauen Rauch zu entfliehen. Als hätte es da irgendetwas gegeben, auf das man hoffen könnte.
    Was machte er falsch? Er konnte es nicht ergründen, wie sehr er sich auch bemühte. Dieses Misslingen von Geschäften war vielleicht genau genommen ebenso rätselhaft wie deren Gelingen? Warum hatte der Laden der Gebrüder Salholm nie genug Kunden, um bei Kasse zu sein? Diese Frage beunruhigte ihn eigentlich mehr als das Misslingen an sich. Warum wollte keiner kommen – oder nur sehr wenige: ein Junge kaufte eine Limonade, ein Flaneur mit Panamahut und Spazierstock eine Schachtel Zigaretten – in diesen so sorgfältig sortierten, geordneten und mehrmals am Tag gefegten und gewischten Laden mit den schwarzweißen quadratischen Bodenplatten?
    War gerade sein Laden zum Scheitern verurteilt? Lag es daran, dass er sich genau am Fuß des steilen Oxbacken befand, wo es fast unmöglich war zu bremsen? Zu dieser Zeit war ja der größte Teil der Västeråser mit dem Fahrrad unterwegs. Und für die wenigen Autofahrer, die den Hang hinunterkamen, war es vielleicht nicht so leicht zu sehen, welche Ladenschilder sich da unten am Fuß des Hügels befanden.
    Also: Dieser Laden, der Nachfolger der Gebrüder Salholm, sah aus wie ein gewöhnliches Geschäft in einer gewöhnlichen Straße. Aber genau betrachtet war er für Menschen in beiden Richtungen unerreichbar.
    Vielleicht hatte er sich auf etwas Unmögliches eingelassen? Vielleicht war das Leben selbst, oder möglicherweise gerade sein Leben, ein unmögliches Unterfangen?
    Nicht genug damit, dass der sich dunkel färbende Herbstabend und der auffällige Mangel an Verkaufsresultaten über ihm hingen. Wollte er den letzten Abendzug erreichen, der Fahrräder im Güterwagen zurück in die Stadt brachte, das heißt nach Västerås, wo er vermutlich noch erwartet wurde, war er schon bedenklich spät dran.
    Aber nach einem Tag mit vielen Hofauffahrten, von denen nicht wenige, wie er feststellen musste, zu für den Winter verrammelten Sommerhäuschen führten, war die Verlockung dieser langen ansteigenden Allee, an deren Ende ein weißes Haus schimmerte, allzu stark. Nachdem er brutal von dummen Bauern abgewiesen worden war, die frech über diese Idee lachten, sie würden so etwas wie ein Haushaltsgerät brauchen, und ebenso über Jan V. Fribergs Erklärung, dass nichts besser in eine Landküche passen könne, besonders im Hinblick auf die Fähigkeit des Geräts, Wurstmasse zu mischen und sie mit den geeigneten Einstellungen im klassischen Wurstformat aus dem Fleischwolf quellen zu lassen.
    Aus irgendeinem Grund verursachte diese Präsentation in mehreren Fällen lautes Gelächter. Es war nicht so verflixt leicht zu begreifen, warum.
    Allerdings hatte er – wie es bei diesen Präsentationen nicht selten vorkam – das unverzichtbare Zwischenglied oft verkehrt herum eingeschraubt. Es war ja nicht immer so einfach, diese Finessen der Ingenieure im Kopf zu behalten.
    Ja, man hatte ihn ausgelacht, jedenfalls in einer der Landküchen, wo er sich mit einer schlecht gespülten Tasse voll Kaffee zu den Kerlen in vom Herbstlehm bekleckerten Blaumännern und dicken Wollstrümpfen hatte setzen dürfen. Dieser Landstrich hier hatte etwas Schweres. Es war nicht das Gewicht der großen Wälder im Norden, sondern eine Art Laubwaldwehmut, die Nähe zu einem See, wo alle Boote schon für den Winter an Land gezogen worden waren. Außer möglicherweise die der Berufsfischer auf Fullerö.
    Hier draußen lagen Inseln und schliefen in der allzu rasch heranziehenden Spätherbstdämmerung: Fullerö, Tidö, Almö-Lindö. Man konnte sie kaum noch sehen. Sichtbar oder nicht – Janne wusste, dass sie sich da befanden. Fischerhäuschen, Netze an langen Stangen, Bootswerften. Seit Ende August verrammelte Sommerhäuschen.
    Jetzt spürte Janne, dass er keine Lust mehr hatte, gegen den knirschenden Alleekies anzukämpfen. Außerdem nahm der Schmerz im linken Handgelenk zu. Er stieg ab und hörte das Flattern eines sehr
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