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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Brandhorst
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Bastion von Labounta beim Magellangraben zerstört hätte.« Beim Magellangraben, wiederholte er in Gedanken. Nicht weit von den Kartellen entfernt. Die Ayunn. Und jetzt haben sie hier angegriffen. Und Splitter-Menschen sind an Bord.
    Sein Herz schlug plötzlich so heftig, als wollte es ihm aus der Brust springen. »Es könnte eine Falle sein!«, stieß er hervor.
    »Beruhigen Sie sich, Chronist«, sagte einer der beiden Adjutanten mit unerschütterlicher Gelassenheit.
    Das war ein Vorteil der Toten; sie blieben immer ruhig, behielten immer die Übersicht. Sie waren die Stützen des Enduriums; auf ihren Schultern lastete die Verantwortung für das Gros der Menschheit. Xavius schloss kurz die Augen und seufzte erleichtert, froh darüber, sich in so kompetenter, zuverlässiger Gesellschaft zu befinden.
    Wenige Sekunden später hielt die Kapsel an, und ihre Tür öffnete sich vor einer Wasserwand – so sah es aus. Ein silbernes Wogen wie von Wellen, die der Schwerkraft trotzten, füllte die Tür und verzerrte die Konturen des Raums dahinter. Xavius kannte dieses Phänomen. Während der letzten vier Jahre als Berichterstatter bei den Streitkräften war er damit vertraut geworden und wusste, dass es sich um eins der Geheimnisse handelte, die der Regent hütete. Dies war ein Schwarm besonderer Art, bestehend aus Myriaden von Mikromaschinen eingewoben in ein energetisches Netz, das wiederum Teil des Schiffes, seiner Mesh-Struktur und der militärischen KI war, mit der sich – so hieß es – die Morti direkt verbinden konnten. Dieser wabernde Vorhang, der wie eine von unsichtbaren Stützen gehaltenen Wand aus Wasser wirkte, stellte eine Sicherheitsbarriere dar, die bei allen Personen, die mit ihr in Kontakt gerieten, nicht nur verborgene Waffen und andere offensive Apparate finden konnte. Sie lotete außerdem das Bewusstsein aus, suchte darin nach versteckten Tiefen mit bösen Absichten, unterschied Wahrheit von Lüge, Loyalität von Verrat, entdeckte Licht und Schatten in den Seelen von Lebenden und Toten. Ein Identifikator; Lug und Trug endeten an seiner Schwelle.
    Die beiden Adjutanten traten als Erste hindurch, begleitet von einem leisen Knistern, wie von statischer Elektrizität, die sich in dem glitzernden und schimmernden Vorhang angesammelt hatte und an den beiden grauen Gestalten entlud. Es folgte der General, hoch aufgerichtet, so groß, dass nur wenig Platz zwischen Kopf und Sturz blieb. Xavius beobachtete den Vorgang interessiert und hielt nach Rotationselementen Ausschau, konnte aber keine entdecken, nicht einmal mit den Okularen und Sensoren seines Schwarms. Es bedeutete, dass sie sehr gut getarnt und geschützt waren, denn sie existierten zweifellos: Ein solcher Identifikator musste autark sein, um nicht manipuliert werden zu können, und er verbrauchte viel Energie.
    »Worauf warten Sie, Chronist?«, grollte Izzad auf der anderen Seite der Barriere. »Haben Sie vielleicht etwas zu verbergen?«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Xavius sofort und trat ins silberne Wogen.
    Das Knistern wurde lauter, vielleicht deshalb, weil es ihn berührte, und für einen Moment gab sein Schwarm Alarm. Etwas berührte ihn, schien ihn festzuhalten, mitten im Schritt durch den Vorhang aus Energie und Mikromaschinen, etwas, das mit kaltem Interesse in sein Bewusstsein eindrang und dort seine Gedanken von allen Seiten betrachtete.
    Dann war es vorbei, und er stand auf der anderen Seite. Der General und seine Adjutanten stapften bereits durch den breiten Flur, ihre Schritte gedämpft von einem blutroten Teppich. Xavius folgte ihnen, vorbei an Wänden aus grauschwarzem Obsidian, bedeckt von etwas, das nach Kratzern aussah. Doch die Schwarmelemente seiner Augen identifizierten sie als Hieroglyphen: komplexe Schriftzeichen, manche von ihnen mikroskopisch klein, andere groß und undeutlich wie Verwitterungslinien in einem fast eine Milliarde Jahre alten Gestein. Xavius begriff, dass die beiden Wände des Flurs, durch den er schritt – durch den er jetzt fast lief, um zu den drei Morti aufzuschließen, die bereits das Portal am Ende erreicht hatten und dort auf ihn warteten –, aus denkenden Steinen von Seren-Sari bestand. Vor drei Jahren war er dort zwischen Ruinen gewandert, die von einer der Alten Zivilisationen stammten, und ein spezielles Interface hatte ihn in die Lage versetzt, den Stimmen zu lauschen, die seit Jahrmillionen in den Steinen flüsterten. Er hatte nicht verstanden, wovon sie erzählten; niemand verstand die
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