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Der Lavendelgarten

Der Lavendelgarten

Titel: Der Lavendelgarten
Autoren: Lucinda Riley
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ausgemalt, er sei ihr großer Bruder, der sie beschützte. Er hatte seine Mutter Francesca in jungen Jahren verloren und war dann von Jacques allein aufgezogen worden.
    Vater und Sohn waren wie ihre Vorfahren in dem kleinen, dem Weinkeller angeschlossenen Häuschen aufgewachsen. Jean verwaltete den Weinberg, eine Aufgabe, die er von seinem Vater übernommen hatte, nachdem dieser davon überzeugt gewesen war, sein ganzes Wissen an Jean weitergegeben zu haben.
    Gerard stand mit verlegenem Gesichtsausdruck hinter ihnen.
    »Das ist Gerard Flavier, der notaire der Familie«, stellte Emilie ihn vor.
    »Ich glaube, wir sind uns vor Jahren begegnet, Monsieur«, sagte Jacques und reichte ihm seine zitternde Hand.
    »Ja, und ich habe noch in Paris den feinen Geschmack Ihres Weins auf der Zunge«, bemerkte Gerard mit einem Lächeln.
    »Sehr freundlich, Monsieur«, bedankte sich Jacques. »Aber ich glaube, mein Sohn beherrscht die Kunst, provenzalischen Rosé herzustellen, noch besser als ich.«
    »Ich vermute, Sie sind hier, um die finanzielle Lage unserer cave zu beurteilen, nicht die Qualität unserer Erzeugnisse, Monsieur Flavier?« Jean wirkte unsicher.
    »Natürlich würde mich interessieren, ob der Weinkeller finanziell profitabel ist«, bestätigte Gerard. »Ich fürchte, Mademoiselle Emilie wird einige Entscheidungen treffen müssen.«
    »Ich habe das Gefühl, dass ich im Moment hier nicht viel tun kann«, sagte Emilie. »Also werde ich einen kleinen Spaziergang durch die Weinberge machen.« Sie nickte den Männern zu und verließ die cave .
    Draußen merkte sie, wie unangenehm es ihr war, dass ihre Beschlüsse die Familie Benoit gefährden konnten, deren Lebensstil jahrhundertelang praktisch unverändert geblieben war. Sie wusste, dass besonders Jean sich Sorgen machte, weil ihm klar war, was passieren würde, wenn sie verkaufte. Der neue Eigentümer würde möglicherweise einen anderen Verwalter einsetzen und Jean und Jacques zwingen, ihr Zuhause zu verlassen. Eine solche Veränderung konnte sie sich kaum vorstellen, weil die Benoits so fest mit der heimischen Erde verwurzelt waren.
    Die Sonne stand bereits tief, als Emilie über den steinigen Boden zwischen den Rebstöcken dahinschlenderte. In den folgenden Wochen würden sie wie Unkraut wuchern und die dicken, süßen Früchte hervorbringen, die im Spätsommer bei der vendage für den nächsten Jahrgang geerntet wurden.
    Sie wandte sich mit einem verzweifelten Seufzen zum Château um, das in etwa dreihundert Metern Entfernung lag. Die hellen, rötlichen Mauern, die traditionell in Hellblau gehaltenen Fensterläden, die hohen Zypressen zu beiden Seiten – all das verschmolz im milden Licht des Sonnenuntergangs. Das schlichte, im Einklang mit der ländlichen Umgebung entworfene Gebäude spiegelte die bescheidene, aber vornehme Linie, deren letzter Spross Emilie war.
    Wir sind als Einzige noch übrig …
    Plötzlich empfand Emilie eine merkwürdige innere Verbundenheit mit dem gleich ihr verwaisten Gemäuer, das sich, in seinen Grundbedürfnissen vernachlässigt, auch in schweren Zeiten eine Aura anmutiger Würde bewahrte.
    »Wie kann ich dir geben, was du brauchst?«, flüsterte sie dem Château zu. »Was soll ich mit dir anfangen? Mein Leben spielt sich anderswo ab, ich …« Emilie seufzte. Da hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
    Gerard, der sich zu ihr gesellte, folgte ihrem Blick zum Château.
    »Schön, nicht?«, fragte er.
    »Ja. Aber ich habe keine Ahnung, was ich damit machen soll.«
    »Dazu könnte ich Ihnen auf dem Rückweg ein paar Gedanken unterbreiten«, schlug Gerard vor.
    »Danke.«
    Zwanzig Minuten später, als die Sonne ganz hinter dem Hügel mit der mittelalterlichen Ortschaft Gassin verschwand, hörte Emilie sich Gerards Ausführungen an.
    »Der Weinberg wirft nicht so viel ab, wie er könnte, weder was die Produktionsmenge noch was den Profit anbelangt. In den vergangenen Jahren ist die internationale Nachfrage nach Rosé stark gestiegen. Er wird nicht mehr als der kleine Bruder seiner weißen und roten Geschwister angesehen. Jean rechnet für den Fall, dass das Wetter in den kommenden Wochen hält, mit einer Rekordernte. Und nun zum Wesentlichen, Emilie: Die cave ist für die de la Martinières nie mehr als ein Hobby gewesen.«
    »Das weiß ich.«
    »Jean – der mich übrigens sehr beeindruckt – sagt, seit dem Tod Ihres Vaters vor sechzehn Jahren sei nicht mehr in den Weinberg investiert worden. Er wurde seinerzeit aufgebaut, um das
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