Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
nickt.
    »Macht’s dir was ?«
    »Nein. Ich hab mal genauso ausgesehen.«
    Rudi erschrickt vor der Traurigkeit in Martins Stimme und winkt dem Ober, um einen Espresso zu bestellen. »Bitte gib mir keine Ratschläge. Nur weil’s mit euch nicht gutgegangen ist, muß es ja mit uns nicht schiefgehen.«
    »Nein«, sagt Martin, »muß es nicht.«
    Sie schweigen eine Zeitlang, bis Martin sich aufrafft, zu sagen, was er schon lange sagen will : »Bitte lad sie nicht ein zur Vernissage. Sie würde dir die Kränkung nicht verzeihen.«
    »Ich weiß«, sagt Rudi ernst und müde. »Ich tu’s nicht.
    Ich werde ihr das überhaupt nicht sagen. Diese ganze Arne-Boro-Geschichte.«
    »Gut.« Martin hebt seine Espressotasse. »Auf die Vernissage.«
    »Ja«, sagt Rudi, »Mittwoch nächster Woche.«
    »Uns alle drei.«
    »Ja.«

20.
     
    Sie bewegte sich sehr langsam, als wolle sie sparen mit der Lust, die sie von Anfang an empfand. Martin paßte sich an und versuchte, sowenig wie möglich eigene Absichten beizutragen. Anne sollte über seinen Körper verfügen, ihren Rhythmus und ihre Fallhöhe bestimmen, er wollte sich einfügen in ihren Tanz, ein Partner, dessen Stärke man nie spürt, weil sie der eigenen nicht entgegenwirkt. Annes Augen waren starr auf den Spiegel gerichtet, ließen nie davon ab und folgten wie hungrig dem ständigen Wechsel der Lichtreflexe auf ihrer beider Haut.
    Auch Martin war bald nur noch im Spiegel, denn immer, wenn er Anne direkt ansah, kam er sich zudringlich vor. Als schliefe nur die Frau im Spiegel mit ihm und sei die andere, vor seinen Augen, eine Fremde, die er heimlich belauschte. Er mied ihren Blick, als er sah, daß sie seinem auswich, und suchte nur noch ebenso wie sie den Spiegel ab nach Zeichen dessen, was er empfand.
    Und erlebte eine seltsame Verdopplung. Er fühlte, was er sah, und sah, was er fühlte, und wußte irgendwann nicht mehr, ob sie Abbild waren oder Original.
    Unvermittelt unterbrach Anne den Fluß ihrer Bewegung und entwand sich seiner vorsichtigen Umarmung.
    Auch jetzt unterschied er nicht mehr zwischen sich und dem Mann im Spiegelbild. Er kehrte nicht mehr aus dem Anblick zurück.
    Sie bog und schob und drapierte ihn in eine andere Position und fügte sich wieder geschmeidig in die neue Figur. So ging es noch einige Male, und Martins geduldige Beherrschung führte dazu, daß seine Konzentration ihr Freiheit verschaffte und er sich erst in ihrer Raserei verlor. »Du kennst mich so gut«, sagte sie noch keuchend, »wieso kennst du mich so gut ?«
     
    *
     
    Es gab ihm einen Stich, als sie sich nach einigen Minuten erschöpften Ausatmens mit einem Klaps auf seinen Oberschenkel verabschiedete, zum Tisch ging, Zeichenblock und Rötel nahm und versuchte, das eben Gesehene festzuhalten. Und als sie bald darauf nach einigen Lauten der Unzufriedenheit den Block zu Boden warf und die Rötelkreide zwischen ihren Fingern zerbrach, dachte Martin : Das hätte ich dir gleich sagen können. So was gibt es nicht. Innen und außen zugleich kann man nicht sein. Aber ihm fiel ein, daß er noch vor Minuten im Spiegel gewesen war und daß Anne auch schon früher in höchster Erregung gezeichnet hatte, und er war sich nicht mehr sicher, ob er nur beleidigt und rechthaberisch daherdachte oder wirklich davon mehr verstand als sie.
    Später schlief sie tief in seinem Arm, der langsam pelzig wurde, dann zu summen begann, um sich schließlich ganz aus Martins Wahrnehmung zu verabschieden. Er lag wach und folgte dem tanzenden Oval des Lichts der letzten Kerze an der Decke, bis auch sie erlosch.
    Er war am Ziel seiner Wünsche angelangt. Wieso war er nicht glücklich ? Weil sie die Liebe nur in Kauf genommen hatte, um das Bild zu sehen ? Weil sie den Nachklang so rüde unterbrochen hatte, um geizig und eilig das Bild festzuhalten ? Oder weil er nicht wußte, ob das, was vorhin geschehen war, noch einmal geschähe ?
    Oder weil er einfach nur immer schwieg. Schon wieder schwieg, wie er immer geschwiegen hatte, alles hinnahm, nichts forderte und alle seine Träume wie Fehlverhalten oder peinliches Versagen für sich behielt, nichts in die Welt entließ und nach nichts, was er von der Welt, von Anne haben wollte, faßte ?
    Es geht nicht anders, dachte er, sie ist in der nächsten Sekunde weg, wenn ich anfange zu reagieren wie ein Mensch. Sie will mich nicht als Mensch, ich bin ja nur der Körper ihrer Ideen. Er schlief ein.

48.
     
    Roys verschlafenes Gesicht ist noch ohne verächtlichen Zug, als er die Tür
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher