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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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übernächsten Abend und trennen sich bei der spanischen Treppe, wo Martin noch eine Zeitlang sitzenbleibt und sich das abendliche Gewimmel der Touristen ansieht. Ich gehöre nicht hierher, denkt er irgendwann, und es kommt ihm wie eine Erleuchtung vor. Ich will nicht nach Hamburg zurück, ich will nirgendwo hin, aber wo ich bin, passe ich nicht. Und ich habe Geld und will nichts. Doch, denkt er trotzig und steht auf, ich will was. Alle Bilder von Anne. Alle. Aber eigentlich : Will er ? Haben will er sie nicht. Nicht behalten. Verkaufen ja – weg von ihr sollen sie, könnten sich seinetwegen auch in Luft auflösen, in die Welt verstreuen, Hauptsache, Anne besitzt sie nicht mehr.
    Die nächste halbe Stunde verbringt er damit, die Via del Babuino entlangzugehen, dann um die Piazza Venezia und zu überlegen, ob er zuerst essen soll oder sich gleich betrinken, aber die Gegend um das Forum, in der er dann landet, lädt zu nichts von beidem ein. Irgendwann findet er sich zu Hause in der Badewanne, eine überlaute Mahler-Sinfonie aus Rudis Zimmer dröhnend und eine Flasche Rotwein neben sich auf einem Stuhl.
    Und eine zur Reserve in Reichweite am Boden.

15.
     
    Ihre Examensarbeit war noch nicht benotet, da hatte Anne schon eine Stelle als Tutorin an der Kunsthoch-schule. Sie schien sich nicht sonderlich darüber zu freu-en, und immer, wenn sie über den Professor sprach, schwang ein verächtlicher Ton mit, als sei es unter ihrer Würde und nur durch Überwindung möglich, mit diesem Kerl zu arbeiten. Martin hütete sich zu fragen, was sie gegen den Mann habe, denn er wußte, ihre Antwort würde einsilbig sein.
    Sie lebten nebeneinander her. Er stand nicht mehr Modell, denn Anne war die meiste Zeit an der Hochschule, und nachts, wenn er fuhr, arbeitete sie an beiden Serien abwechselnd. Mal übertrug sie die ersten Skizzen in Öl, und mal aquarellierte sie nach den zweiten. Sie trennte streng. Die unverfänglichen Arbeiten waren alle groß, in Öl, und die obszönen filigran in Aquarell.
    Nichts von der Spannung zwischen ihnen war geblieben. Anne jedenfalls schien die Erregung der vorher-gegangenen Tage vergessen zu haben, und sie lebten wieder zusammen, als ginge es um die Miete und teile man sich nüchtern den Raum, ohne mehr vom anderen zu wollen, als daß sich seine Gegenwart rentiert.
    Natürlich wartete Martin wie ein Hund auf einen Knochen, aber Anne blieb gelassen und geschwisterlich ; die Erinnerung an ihre Nacktheit, an ihr exzessives Gebaren vor der Staffelei, die Geräusche aus dem Nebenzimmer und die kurze Umarmung waren wie aus einer anderen Welt und Zeit.
    Eines Tages, nachdem Anne das Wochenende bei ihrer Großmutter im Ruhrgebiet verbracht hatte, legte sie lächelnd eine Uhr auf den Tisch. »Für dich«, sagte sie, »ein Geschenk.«
    »Wieso ?«
    »Weil du so ein phantastisches Modell bist und ich dir die besten Bilder verdanke, die ich je gemalt habe.«
    Die Uhr war flach, vergoldet, mit einem hellbraunen Lederarmband, das noch nachdunkeln würde, römischen Zahlen, Datumsanzeige und einem kleinen Ausschnitt, in dem sich ein Mond und kleine Sternchen bewegten.
    »Bist du auf einmal reich geworden ?«
    »Nein, meine Oma Borowsky hat mich fürs Examen belohnt.«
    »Danke. Deine Oma ist toll.«
    »Ja.«
    Martin legte seine Allerweltsuhr ab, die er irgendwann von irgendwem für irgendetwas eingetauscht hatte, und streifte sich die neue übers Handgelenk. »Jetzt freu ich mich noch drüber, daß die Zeit vergeht«, sagte er.

43.
     
    Sharons Bruder scheint seine Informationen darüber, wie ein Künstler aussieht, aus den Anzeigenkampagnen der Bekleidungsbranche zu haben. Er ist schwarz gekleidet, schiebt sich mit affektierter Gebärde immer dieselbe Strähne seines glatten langen Blondhaars hinters Ohr und übt noch an einer auf misanthropische Wirkung zielenden Stellung seiner Mundwinkel. Vergißt er dieses Theater für kurze Zeit und träumt einfach in die Leere seiner Gedanken hinein, dann sieht er aus wie ein Jüngelchen, das Popstar werden will, aber wenn er sich beobachtet glaubt, spricht oder zuhört, gibt er sich diesen abschätzigen Zug um den Mund, den er wohl für den adäquat verlebten Ausdruck europäischer Dekadenz hält. Zu allem Überfluß heißt er auch noch Roy. So heißt man als Zauberer, denkt Martin, oder wenn man, den pastellfarbenen Hemdkragen übers pastellfarbene Revers gelegt, Orgel in einem Einkaufszentrum spielt.
    Kleidet sich wie Zorro und heißt wie eine Glanzrolle für Ned
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