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Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)

Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
Autoren: Jean Johnson
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Schicksal fügende Nichte, die jedem Befehl ihres Onkels gehorchte.
    Alys hatte sich ihm zuerst aus Angst vor seinem unberechenbaren Temperament gefügt, dann wegen der abscheulichen Versionen von Unterhaltung und Vergnügen, denen er frönte. Und schließlich hatte sie gefürchtet, ihre Pläne für ihre Freiheit und ein eigenes Leben, die sie mit Morganens Hilfe geschmiedet hatte, könnten scheitern, wenn sie den Unmut ihres Onkels erregte. Zumindest nach außen hin musste sie also absoluten Gehorsam an den Tag legen. Es war der Preis, den sie dafür zahlte, mit ihm verwandt zu sein. Sie verließ den Corvis-Burghof, wo sie sich als junges Mädchen bei Besuchen ihrer angeheirateten Verwandtschaft spielerische Kämpfe mit den acht Brüdern geliefert hatte, und ließ sich willig von den Soldaten fortführen.
    Wenigstens ritten sie in Richtung Westen, was sie ihrem Ziel ein kleines Stück näher brachte. Alys würde warten, bis sie der unmittelbaren Reichweite ihres Onkels entronnen waren. Heute würde sie noch nicht fliehen. Aber bald. Sehr bald.
    Es war gut, dass einer der Soldaten ihre Stute am Zügel führte. Ihre Hände hätten verräterisch gezittert, hätte sie nicht den festen Sattelknauf umklammern können.
     
    Ihre Chance kam vier Tage später. Sie hatte sich still und unterwürfig verhalten und so die Soldaten eingelullt, bis ihre anfängliche stetige Wachsamkeit allmählich nachließ. Sie hatten die strikte Anweisung ihres Onkels, dafür zu sorgen, dass sie sein Abkommen mit Baron Glourick nicht doch noch auf irgendeine Weise zunichtemachte. Normalerweise durften die Frauen in Katan selbst wählen, wen sie heiraten wollten, aber Lord Broger hatte ihr, als sie in seine Obhut gekommen war, kalt mitgeteilt, sie müsse sich Essen und Kleidung verdienen, indem sie seine ˒Hübschen˓ fütterte und heiratete, wen auch immer er für sie aussuchte – also den, der den höchsten Preis für sie bezahlte.
    Damals hatte ihre einzige Möglichkeit, eine ungewollte Hochzeit hinauszuzögern, darin bestanden, sich unentbehrlich zu machen und mit ruhiger Logik all die Gründe vorzubringen, weshalb sie jetzt noch nicht vermählt werden sollte. Während sie auf dem ihr zugewiesenen Platz am Lagerfeuer saß und zuhörte, wie die Soldaten Witze darüber machten, wie viel sie wert gewesen war – ein Vermögen an magischen Gerätschaften, Geld und Land – blickte sie sich unauffällig um. Sie befanden sich in einem Waldgebiet zwischen Ackerland und Städten. Wald war gut, er würde ihr bei ihrer Flucht reichlich Deckung bieten.
    Auch der Mangel an Licht würde ihr helfen. Die Dunkelheit war hereingebrochen, während sie pflichtgetreu das Essen für die Männer zubereitet hatte. Sie behandelten sie wie eine Dienstbotin – sie schlief nur aus einem einzigen Grund überhaupt in einem eigenen Zelt: weil der lüsterne Baron darauf bestanden hatte, dass sie als Jungfrau zu ihm kam. Die Männer, mit denen ihr Onkel Umgang pflegte, legten auf derlei Dinge Wert, denn sie fügten anderen gern Schmerzen zu, und die Vorstellung brutal verlorener Unschuld reizte sie. Alys war das schon früh klar geworden, und sie hatte diese Karte ihrem Onkel gegenüber geschickt ausgespielt. Hauptsächlich hatte sie Broger dadurch davon abhalten wollen, sie selbst zu entjungfern. Oder dies seinem Sohn zu gestatten … obwohl sie blutsverwandt waren.
    Ich glaube, es ist Zeit, dass ich mich aus dem Staub mache , entschied sie, nachdem sie sich mit einem verstohlenen Blick vergewissert hatte, dass die Soldaten ihr keine Aufmerksamkeit schenkten. Sie hatte sich ihren Umhang um die Schultern gelegt – vorgeblich, um sich vor der Kälte zu schützen – und trug alles, was sie brauchte, nach wie vor am Leib. Zwei der zehn Männer standen Wache, der Rest würfelte um Münzen und johlte bei jedem Wurf, ob nun gut oder schlecht, laut auf. Ja, spielt nur weiter. Ferner dreigesichtiger Gott des Schicksals, lenk sie von mir ab!
    Sie saß auf einem Stein, den andere Reisende, die diese Straße im Lauf der Jahre benutzt hatten, hier zurückgelassen hatten, rieb die Fingerspitzen ihrer sittsam in ihrem Schoß liegenden Hände gegeneinander und murmelte dazu nahezu unhörbar etwas vor sich hin. Das war nicht die beste Form von Magie. Sie hatte auch nicht oft Gelegenheit gehabt, sie auszuüben, da sie das Ausmaß ihrer Fähigkeiten vor ihrem Onkel hatte geheim halten müssen. Er dachte, sie sei höchstens imstande, den Käfigbann für seine Bestien zu erneuern und sich
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