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Der Kuss Des Kjer

Der Kuss Des Kjer

Titel: Der Kuss Des Kjer
Autoren: Lynn Raven
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Hand an die Lippen gepresst, starrte er über das Meer hinaus und wartete. Der Seewind spielte mit der Fehan-Seide seiner weit fallenden Beinkleider und der ärmellosen, mit winzigen Silberperlen bestickten Weste, strich kühl übe seine Stirn und kräuselte die glatte Wasseroberfläche des von weißem Stein eingefassten Beckens hinter ihm, in dessen Mitte sich der Thron des Fürsten von Astrachar auf einem Rund aus silbergeädertem Marmor erhob.
    In ein paar Schritt Entfernung saß eine zierliche Frau auf einem Schemel aus Elfenbein zwischen den Säulen, gekleidet in das Blau Schwarz und Silber ihres Standes, stumm das Gesicht in seine Richtung gewandt. Und obwohl Niégra, die Erste Gesegnete der Rabin, schon seit vielen Wintern blind war, schien ihr Blick ihn zu verbrennen. Mit einem Knurren stieß er sich von der Säule ab und nahm seine ungeduldige Wanderung von zuvor wieder auf.
    Es war falsch, sich solche Sorgen zu machen. Sie sollte ohne Bedeutung für ihn sein, immerhin war sie kein Mitglied des Hofes, sondern nur eine junge Heilerin, die unter den Gesegneten der Rabin lebte; die noch nicht einmal zur Schwesternschaft: der Gesegneten gehörte. Aber verdammt, der Gabe dieses Mädchens hatte er es zu verdanken, dass er noch am Leben war, nachdem man ihn vor drei Wintern mehr tot als lebend nach Anschara gebracht hatte.
    Unwillkürlich ballte Rusan, Fürst der Nivard, die Fäuste, als er sich an den Augenblick im eisigen Wind bei Iserochs Pass erinnerte. Mit einer kleinen Truppe seiner besten Männer hatte er hinter einer Felskehre plötzlich zwei Dutzend Kjer-Kriegern gegenübergestanden, die das Banner des zweiköpfigen Wolfes führten. Im ersten Moment waren die Kjer scheinbar nicht weniger überrascht gewesen wie die Nivard selbst, jemanden in diesen verschneiten Höhen anzutreffen. Doch ihr Anführer hatte sich schnell von seiner Verblüffung erholt und dann war es zu spät gewesen - sie waren über Rusans Männer hergefallen - und er hatte sich dem Blutwolf persönlich gegenübergesehen.
    Unbewusst tastete er nach seiner linken Schulter. Das Schwert des Kriegers war ein beißender Blitz in der frostklirrenden Luft gewesen, als es immer wieder auf ihn niedergefahren war und sich ihm schließlich mit mörderischer Wucht knapp neben dem Hals in die Schulter gebohrt und dort die Knochen zertrümmert hatte. Die Welt um Rusan war in Rot ertrunken. Das Letzte, was er für lange Zeit gehört hatte, war das wutentbrannte Heulen des Blut, Wolfs gewesen, als es seiner Leibwache endlich gelang, ihn von ihrem gestürzten Fürsten zurückzudrängen, denn dieser eine Hieb hatte ihn an den Rand des Grabes gebracht. Seit jenem Tag war sein Arm ohne Kraft.
    Er rieb über die wulstige Narbe, den Mund zu einem bitteren Strich verzogen. Es ging das Gerücht, dass Haffrens erster Heerführer ein Kessanan war. Eine jener Bestien, die in blindem Gehorsam jeden Befehl ihres Herrn ausführten - wie auch immer er lauten mochte.
    Der bittere Zug machte Spott Platz. Es gab aber auch Stimmen, die behaupteten, der Blutwolf sei kein Mann, sondern ein fleischgewordener Rachegeist.
    Der Seewind wehte ihm schwarze, schon mit dem ersten Silber des Alters durchzogene Haarsträhnen ins Gesicht. Unbewusst strich er sie zurück. Was auch immer dieser Kjer-Krieger war Mann oder Rachegeist -, wer Rusan seinen Kopf brachte, wurde mit Gold belohnt.
    Er blieb zwischen zwei Säulen stehen und blickte aufs Meer hinaus, während er versuchte, die Kjer aus seinen Gedanken zu vertreiben und den Hass in seinem Herzen zum Schweigen zu bringen. Im Augenblick war das Mädchen wichtig und kein weit entfernter Feind.
    Als ein Hauptmann seiner Garde sich mit schnellen Schritten näherte, wandte Rusan sich um.
    »Und?« Seine Stimme war scharf. Geduld hatte noch nie zu sei, nen Tugenden gehört.
    Der Mann verneigte sich. »Nichts, mein Fürst! «
    »Wart Ihr auch in der Unterstadt?« Die junge Närrin war arglos genug, allein in die engen Gassen nördlich des Hafens zu gehen, wenn ein Kranker dort ihre Hilfe brauchte.
    »Ja, mein Fürst. Dort war sie nicht! - Heiler Udelar war der Letzte, der sie sah. Er sagt, sie habe einen Fremden zum >Schwarzen Lamm< begleitet, um sich dort um einen Gefährten des Mannes zu kümmern, dem Heiler Udelar selbst nicht helfen konnte. Niemand im >Schwarzen Lamm< hat sie gesehen. Wie es scheint, ist sie nie dort angekommen.«
    »Wurden diese Fremden befragt?«
    »Sie haben noch vor dem Morgengrauen das >Lamm< verlassen, mein
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