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Der kommende Aufstand

Der kommende Aufstand

Titel: Der kommende Aufstand
Autoren: Unsichtbares Komitee
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Freunde, an Liebschaften, Ereignisse, Sprachen,
     Erinnerungen, an alle möglichen Dinge, die ganz
     offensichtlich nicht Ich sind. Alles, was mich an die
     Welt bindet, alle Bindungen, die mich ausmachen, alle Kräfte,
     die mich bevölkern, weben keine Identität, die ich wedelnd vor
     mir her tragen kann, wie man es von mir fordert, sondern eine
     einzigartige, gemeinsame, lebendige Existenz , aus der –
     stellenweise, zeitweise – dieses Wesen auftaucht, das »ich«
     sagt. Unser Gefühl der Haltlosigkeit ist nur die Wirkung dieses
     dummen Glaubens an die Dauerhaftigkeit des Ichs und der geringen
     Pflege, die wir dem gönnen, was uns ausmacht.
    Es macht schwindelig, so auf einem Schanghaier
     Wolkenkratzerdas »I AM WHAT I AM« von Reebok
     thronen zu sehen. Wie sein bevorzugtes Trojanisches Pferd treibt
     der Westen überall diese tötende Antinomie voran zwischen dem
     Ich und der Welt, dem Individuum und der Gruppe, zwischen
     Bindung und Freiheit. Die Freiheit ist nicht die Geste, sich von
     unseren Bindungen loszumachen, sondern
     die praktische Fähigkeit, auf sie zu wirken, sich in
     ihnen zu bewegen, sie herzustellen oder sie abzuschneiden. Die
     Familie existiert als Familie, das heißt als Hölle, nur für
     denjenigen, der aufgegeben hat, ihre verblödenden Mechanismen zu
     verändern, oder nicht weiß, wie man es macht. Die
     Freiheit, sich loszureißen, war schon immer das Phantom
     der Freiheit. Man schafft nicht das weg, was uns hemmt, ohne
     gleichzeitig das zu verlieren, worauf unsere Kräfte sich
     auswirken könnten.
    »I AM WHAT I AM« also, keine einfache Lüge, keine einfache
     Werbekampagne, sondern eine Militär kampagne, ein
     Kriegsschrei, der sich gegen alles richtet,
     was zwischen den Wesen ist, gegen alles, was undeutlich
     kursiert, alles, was sie unsichtbar verbindet, alles, was sich
     der vollständigen Trostlosigkeit in den Weg stellt, gegen alles,
     was macht, dass wir existieren und dass die Welt nicht
     überall wie eine Autobahn, wie ein Vergnügungspark oder wie eine
     neue Stadt aussieht: reine Langeweile, ohne Leidenschaft und
     wohl geordnet, eisiger, leerer Raum, durch den nur noch
     registrierte Körper, selbstantreibende Moleküle und ideale Waren
     hindurchgehen.
     
    Frankreich ist nicht das Vaterland der
     Beruhigungsmittel, das Paradies der Antidepressiva, das Mekka
     der Neurose, ohne gleichzeitig der Europameister in der
     Produktivität pro Arbeitsstunde zu sein. Krankheit, Müdigkeit,
     Depression können als individuelle Symptome dessen
     betrachtet werden, wovon man heilen muss. Sie arbeiten also an
     der Aufrechterhaltungder bestehenden Ordnung,
     an meiner folgsamen Anpassung an schwachsinnige Normen, an der
     Modernisierung meiner Krücken. Sie betreiben in mir die Auswahl
     der wohlangebrachten, konformen, produktiven Neigungen und
     derjenigen, die brav abgeschrieben werden müssen. »Man muss sich
     verändern können, weißt du.« Aber meine Schwächen können auch,
     als Fakten genommen, zur Zerschlagung der Hypothese des Selbst
     führen. Sie werden dann zu Widerstandshandlungen im laufenden
     Krieg. Sie werden Rebellion und Energiezentrum gegen alles, was
     sich verschworen hat, uns zu normalisieren, uns zu
     amputieren. Das Ich ist nicht das, was bei uns in der Krise
     ist, sondern die Form, die man uns aufzudrücken
     versucht. Man will aus uns schön eingegrenzte Ichs machen,
     schön getrennt, nach Eigenschaften klassifizierbar und
     erfassbar, kurz: kontrollierbar, wenn wir Kreaturen unter
     Kreaturen sind, Besonderheiten unter unseresgleichen, lebendes
     Fleisch, das das Fleisch der Welt webt. Im Gegensatz zu dem, was
     man uns seit der Kindheit wiederholt, ist Intelligenz nicht,
     dass man sich anzupassen weiß – oder wenn das eine Intelligenz
     ist, dann ist es die der Sklaven. Unsere fehlende Anpassung,
     unsere Müdigkeit sind nur Probleme vom Gesichtspunkt
     dessen aus betrachtet, was uns unterdrücken will. Sie zeigen
     eher einen Ausgangspunkt an, einen Verbindungspunkt für ganz
     neue Komplizenschaften. Sie machen eine weitaus zerstörtere
     Landschaft sichtbar, die man aber unendlich viel besser
     miteinander teilen kann als all die Trugbilder, die diese
     Gesellschaft auf ihrem Konto liegen hat.
    Wir sind nicht deprimiert, wir streiken. Für den, der
     verweigert, sich selbst zu verwalten, ist die »Depression« nicht
     ein Zustand, sondern ein Übergang, ein Auf Wiedersehen, ein
     Schritt zur Seite in Richtung
     eines
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