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Der Kojote wartet

Der Kojote wartet

Titel: Der Kojote wartet
Autoren: Tony Hillerman
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sitzen mußte. Danach hatte Chee aus seinem jish, einem Hirschlederbeutel, der sein Vier-Berge-Bündel war, zwei Paar »sprechende« Gebetstäbe, eine Schnupftabakdose mit Feuersteinpfeilspitzen und ein halbes Dutzend Säckchen mit Blütenstaub gezogen.
    Als nächstes hatte Chee feierlich die Umrisse von Fußabdrücken in die Erde gekratzt und sie danach mit den Sonnenstrahlensymbolen aus Blütenstaub versehen, auf denen Leaphorn zukünftig gehen würde. Durch den Eingang des Hogans hatte Leaphorn die Carrizo Mountains im rosigen Schein der Abenddämmerung gesehen. Er hatte den Pinienduft der Kochfeuer der Verwandten Emmas und seiner eigenen Freunde gerochen, die gekommen waren, um ihn auf seinem Weg in die Geisterwelt seines eigenen Volkes zu begleiten.
    In diesem Augenblick hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als dieses Unternehmen abbrechen zu können. Er war ein Heuchler. Er glaubte nicht an die rituellen Gesänge, die Officer Jim Chee vortragen würde, oder an die ins Erdreich gekratzten Bilder, die die bösen Mächte bannen und dazu zwingen würden, Joe Leaphorn ein Leben in Harmonie und Schönheit zurückzugeben. Das Schöne war aus seinem Leben verschwunden, seit Emma zur Beisetzung in den Canyon fortgetragen worden war. Leaphorn wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr folgen zu können.
    Aber er hatte das einmal begonnene Zeremoniell nicht mehr abbrechen können. Und als er nach einer langen Nacht mit rituellen Gesängen bei Tagesanbruch die vier vorgeschriebenen tiefen Atemzüge in frischer Morgenluft getan hatte, war ihm anders als seit Wochen zumute gewesen. Die Zeremonie hatte ihn nicht geheilt, aber sie hatte den Heilungsprozeß eingeleitet. Dafür hatte er vermutlich Jim Chee, dem Schamanen, zu danken. Zumindest für einen Teil dieses Erfolgs. Aber Officer Jim Chee war ein anderer Fall. Hätte er seine Pflicht getan, wäre Delbert Nez vielleicht noch am Leben gewesen.
    »Brustdurchschuß links oben«, hieß es in dem Bericht. »Offenbar aus nächster Nähe erschossen.«
    Leaphorn sah wieder zu Mary Keeyani und der Professorin hinüber. »Tut mir leid, daß ich so lange brauche«, entschuldigte er sich.
    »Oh, wir haben Zeit«, versicherte Mary Keeyani ihm. Von Captain Largo wußte er, daß Chee nach dem Mord den Polizeidienst hatte quittieren wollen. Bei der Bergung des Toten aus dem brennenden Fahrzeug hatte Chee Brandwunden an beiden Händen, am Arm, am Bein und am Oberkörper davongetragen. Der Captain war nach Farmington gefahren, um ihn im Krankenhaus zu besuchen. Da Largo und Leaphorn alte Freunde waren, hatte der Captain ihm die ganze Geschichte erzählt.
    »Er hat seinen Rücktritt nicht nur angeboten«, hatte Largo dem Lieutenant erzählt, »sondern darauf bestanden. Er hat mir seine Dienstmarke zurückgegeben - weil er nach eigener Einschätzung versagt hat. Er hätte losfahren und Nez zur Hand gehen müssen, als er hörte, daß jemand festgenommen werden sollte. Und das stimmt natürlich.«
    »Warum ist er nicht hingefahren, verdammt noch mal?« hatte Leaphorn gefragt. »Dieser Schwachkopf! Welche Entschuldigung hat er dafür?«
    »Er hat gar nicht erst versucht, Entschuldigungen vorzubringen«, hatte Largo in einem Tonfall gesagt, der Leaphorns Vorverurteilung zurückgewiesen hatte. »Aber ich habe ihn daran erinnert, daß in seinem Bericht stand, daß Nez gelacht hat. Aus den Bruchstücken, die er über Funk mitbekommen hat, konnte er schließen, daß Nez die Sache nicht weiter ernst nahm. Als ob das Ganze ein Scherz wäre. Und ich habe ihm gesagt, daß er den Dienst ohnehin nicht quittieren kann. jedenfalls nicht, bevor Pinto vor Gericht gestanden hat.«
    Als Leaphorn sich jetzt an dieses Gespräch erinnerte, fiel ihm ein, daß es zwischen Largo und Officer Chee angeblich irgendeine weitläufige Clanverwandtschaft geben sollte. Zumindest hatte er davon gehört. Die Vorschriften der Navajo Tribal Police untersagten Nepotismus im Dienst. Aber diese Bestimmungen waren einfach aus den Personalvorschriften der biligaana übernommen. Die Vorschriften der Weißen berücksichtigen keine Clanverbindungen.
    Das nächste Blatt war der Bericht von Sergeant Eldon George. Bei seinem Eintreffen hatte er Chee unter Schockeinwirkung und halb bewußtlos auf dem Fahrersitz seines Wagens vorgefunden. Pinto hatte in Handschellen auf dem Rücksitz geschlafen. George hatte sich bemüht, Chees Brandwunden mit dem Inhalt seines Erste-Hilfe-Kastens zu versorgen.
    Nacheinander waren ein weiterer
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