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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Bombe.
    »So ist’s richtig. Nimm jetzt eine Zigarette.«
    »Nein, nein. Gib mir etwas zu essen.«
    »Hör jetzt auf mit deiner Nerverei vom Essen. Es gibt kein Essen. Rum und Zigaretten gibt’s.«
    Rey stand auf und entfernte sich etwas. Unter dieser Sonne wollte er sich keine Litaneien von Trunkenbolden anhören.
    »Komm her, komm schon«, riefen sie ihn abermals. Dann durchwühlten die drei Suffköpfe ihre Hosentaschen. Sie sammelten ein paar Münzen und gaben sie ihm. Er nahm sie an.
    »Danke.«
    »Nein, nein. Nicht danke. Hör genau zu, was ich dir sage: Männer trinken Rum. Man bettelt nicht um Geld für Essen. Man muss trinken, trinken, trinken …«
    »Ja, es reicht, hör jetzt auf.«
    Rey spazierte hinüber zur Cafeteria, und dachte bei sich: »Die sind schlimmer dran als ich. Immer gibt es einen, der schlimmer dran ist als man selbst. Wenigstens bin ich kein Säufer.« Er kaufte sich eine Limonade und ein paar Brote mit Fleischkroketten. Eine Pizza kostete fünf Pesos. Dafür reichte es nicht.
    An dem Abend hatte er nicht die Kraft, zum Schrottplatz zurückzukehren. Er lehnte sich an einen Baum im Kirchgarten. Und schlief ein. Um Mitternacht wurde er von Schüssen geweckt. Durch den Nebel seiner Schläfrigkeit hindurch sah er, wie zwei Polizisten einem mageren Schwarzen nachsetzten. Sie verloren sich in einer Seitengasse; schwerfällig kam ein dicker, sehr weißer Mann hinter ihnen hergelaufen, der wie ein Ausländer aussah. Rey schlief wieder ein und erwachte am Morgen. Kurz darauf tauchten ein paar Polizisten auf. Er sah zu, dass er wegkam, und suchte sich ein besseres Versteck. Ohne weiter darüber nachzudenken, betrat er die Kirche. Dort war es dunkel, und hier und da waren ein paar große Puppen aufgestellt. Die Leute taten nichts. Sie knieten nieder, setzten sich, zündeten Kerzen an, sprachen leise. Ein junges schwarzes Mädchen, ganz in Blau gekleidet, kam herein, zog sich die Schuhe aus, kniete nieder und rutschte so auf die schwarze Puppe und das Kreuz zu, um ein paar Blumen niederzulegen. Dort verharrte es dann eine ganze Weile. Kurzum, gähnende Langeweile. Das gefiel ihm nicht. Er verstand absolut gar nichts. Ihm fiel nur ein, wie seine Mutter immer wütend geschnaubt hatte: »Ich scheiße auf Gott, verdammt noch mal, ich scheiße auf Gott!«
    Er verließ die Kirche wieder. Die Polizisten waren immer noch da, schenkten ihm aber keine Beachtung. Ein alter Mann saß auf der Schwelle des Portals und bat um Almosen. Er hatte auch so eine Puppe wie die in der Kirche, nur kleiner, und eine Pappschachtel. Fast jeder, der in die Kirche eintrat oder herauskam, warf ihm ein paar Münzen und sogar Scheine in die Schachtel. Dem Alten fehlten beide Beine. Neben ihm stand ein Rollstuhl. Nachdem er ihn eine ganze Weile beobachtet hatte, gab Rey sich einen Ruck und trat an ihn heran. »Sagen Sie, Señor, wo bekommt man diese Puppen?«
    »Was für Puppen, Junge?«
    »Solche, wie Sie hier haben.«
    »Das ist San Lázaro, mein Kleiner.«
    »Aber … San Lázaro heißt die Straße, in der ich gewohnt habe.«
    »Nein, nein … na ja, okay, aber … bring mich nicht durcheinander. Ich erfülle ein Gelübde an San Lázaro.«
    Der Alte ging weiter seinen Geschäften nach und beachtete ihn nicht mehr. Rey blieb neben ihm stehen und ließ die Schachtel nicht aus den Augen. Sie enthielt eine Unmenge Geld. Wenn er ihm die Schachtel entriss und davonlief, würde ihn niemand schnappen können. Die beiden Hohlköpfe von Polizisten waren immer noch mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Der Alte erriet die Absichten des Jungen und zog ein dickes Elektrokabel mit einer Schraube an der Spitze hervor. Es war ziemlich hart. Er hatte es unter sich versteckt. Er griff nach dem Kabel, brachte die Schachtel in Sicherheit und sah den Jungen an. Jetzt konnte Rey sehen, was für eine miese Fresse er hatte. Keinen Ton sagte der Alte. Aber er packte sein Kabel noch fester.
    »Ich werde Ihnen nichts tun.«
    »Verschwinde.«
    »Leihen Sie mir den San Lázaro, wenn Sie mit ihm durch sind.«
    »Jetzt tu nicht so scheinheilig und verschwinde.«
    »Sie wollen ihn mir nicht leihen.«
    »Heilige verleiht man nicht. Hau ab.«
    Rey kehrte ihm den Rücken zu und entfernte sich. Er roch seine Achseln. Er stank am ganzen Körper nach Schweiß und Schmutz. Ihm gefiel der Geruch. Er erinnerte ihn an zu Hause. Aber er wollte an nichts und niemanden ein Andenken. Er löschte es aus dem Gedächtnis. Leute verkauften Blumen und Kerzen. Eine sehr
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