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Der Koenig geht tot

Der Koenig geht tot

Titel: Der Koenig geht tot
Autoren: Kathrin Heinrichs
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aussah, als hätte sie es bei Barbie persönlich ausgeliehen. Meine Doris trug ein ähnliches Modell in Hellrosa, so daß ich immer an die gleichfarbigen Marzipanfiguren denken mußte. Wir waren noch keine zwei Meter auf der Hauptstraße gegangen, da ging es los: Eine Schülerin von mir hatte mich entdeckt und brüllte: »Guck mal, Mama, da vorne ist Herr Jakobs!« Ich lächelte selbstbewußt in die entsprechende Richtung. Links hatte mich schon wieder jemand erkannt, eine Mutter, die auf dem Elternsprechtag bei mir gewesen war. Eine Schülertruppe aus der 8c gröhlte von rechts: »Boh, Herr Jakobs im schwarzen Anzug!« Ich merkte, daß Fotos von uns gemacht wurden. Dann sah ich plötzlich Friederike Glöckner am Straßenrand stehen, die überkandidelte Schauspielerin, die ich gleich zu Anfang hier im Sauerland kennengelernt hatte. Sie sah mich schnippisch an. »Oh, schon wieder in neuer Damenbegleitung!« flötete sie. Ich sparte mir eine Antwort.
    Der Höhepunkt des Zuschauerinteresses war schon auf lange Sicht erkennbar. Etwa dreißig Meter entfernt wurde ein Plakat in die Höhe gehalten. Mich überkam geradezu Panik. Wahrscheinlich hatten Alexa und Max das halbe Lehrerkollegium mobilisiert, um mich mit einem gelungenen Spruch wie » Kaum zu glauben, aber wahr – der Vincent ist im Hofstaat ja! « zu begrüßen. Vermutlich hatte man auch ein paar von den Ordensschwestern des Elisabeth-Gymnasiums dafür gewinnen können. Ich sah bereits meine Schulleiterin Schwester Wulfhilde mit ungläubigem Lächeln am Straßenrand stehen. Unter Umständen würde man sich auch noch zu einer La-Ola-Welle hinreißen lassen. Ich schloß die Augen. Vielleicht würde es mir so erspart bleiben, diese Lästertruppe wahrzunehmen. Als ich die Augen wieder öffnete, marschierten wir gerade am Schild vorbei.
    »Der SV Stichlingsen grüßt seinen König!« war die Aufschrift. Also doch kein aufgeheiztes Lehrerkollegium, sondern nur der Fußballverein des Schützenkönigs, der offenbar bester Stimmung war und ausgelassen am Straßenrand klatschte. Doris quiekte vor Vergnügen, was gut zu ihrem hellrosa Kleid paßte.
    Drei Stunden später saß ich in der Schützenhalle am Tisch des Hofstaats und nuckelte an einem Glas Cola herum. Schützenkönigin Elke hatte mir zu verstehen gegeben, daß man als Hofstaatsmitglied am Tisch sitzen zu bleiben hatte, was einem Verbot sich zu amüsieren gleichkam. Zumal meine Partnerin Doris inzwischen das Weite gesucht hatte. Sie unterhielt sich prächtig mit einem Kerl, der so breit war wie ein Kleiderschrank und die obligatorische Schützenkappe trug, die ich natürlich nicht zu bieten hatte. Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß es nicht sehr attraktiv war, zum Hofstaat zu gehören. Neben der Weisung, am Tisch zu bleiben, unterlag man einem strikten Kleiderzwang – die Männer in dezent-grauen Anzügen, einer Einheitsweste und einer modischen Krawatte – die Frauen in sündhaft teuren, pastellfarbenen Ballkleidern. Die Kleiderordnung wurde in Stichlingsen vom Königspaar festgelegt, und der Hofstaat mußte sich dann für teures Geld das Entsprechende zulegen. Natürlich fiel ich aus der Kleiderordnung voll heraus. Mein zu enger schwarzer Anzug und die Bewerbungskrawatte waren nicht gerade modische Knüller. Ich befürchtete daher das Schlimmste, als Schützenkönigin Elke sich plötzlich neben mich setzte. Sie kam sofort zur Sache:
    »Ich find’ es ja ganz toll, daß du so kurzfristig eingesprungen bist, um mit der Doris zu gehen«, sagte sie in einem Tonfall, bei dem ich annahm, daß sie es so ganz toll nun doch nicht fand. »Allerdings wäre es schön gewesen, wenn du dich äußerlich ein bißchen dem Gesamtbild angepaßt hättest.« Ich fing an zu kochen, hielt mich aber noch ein bißchen zurück. Elke sah mich mit großem Augenaufschlag an. »Du siehst ja, daß die anderen Männer sich sehr viel Mühe mit ihrem Outfit gegeben haben. Da ist es natürlich nervig, wenn einer diese Kleiderharmonie stört.«
    Ich zwang mich zu einem ruhigen Tonfall. »Leider hatte ich heute morgen nicht mehr die Gelegenheit, mich nach einem Anzug umzusehen, der in euer Gesamtbild paßt«, hauchte ich. »Aber um ehrlich zu sein: Selbst wenn ich ein ganzes Jahr Zeit gehabt hätte, hätte ich mich nicht um einen solchen Anzug bemüht oder diese modischen Accessoires angelegt.«
    Elke benötigte ein paar Sekunden, um diese Information zu verarbeiten. In dem Moment schaltete sich ihr Mann Dirk ein, der wohl das Gespräch mit
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