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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen
Autoren: John Hart
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stabil aus. Stück für Stück betrachtet, war alles in Ordnung. Trotzdem stimmte etwas nicht.
    Vielleicht waren es die Augen.
    »Was hat er dir gesagt?« Ich deutete mit dem Kopf zum Geschäftsführer hinüber. Sie machte sich nicht die Mühe, hinzuschauen. Sie hielt den Blick fest auf mich gerichtet. Er war ohne Wärme.
    »Ist das wichtig?«, fragte sie.
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Sie zog die Brauen hoch und wandte die Handflächen nach oben. »Und?«
    Ich wusste nicht, wie ich dahingelangen sollte, wohin ich musste. Ich spreizte die Finger auf dem glatten, rotkarierten Stoff der Tischdecke.
    »Du kommst nie hierher«, sagte sie. »Nicht mal zum Essen.«
    Ich hatte meine Schwester im letzten Jahr kaum gesehen; deshalb konnte ich es ihr nicht verdenken. Auch wenn es falsch war, es war eine Art Religion für mich geworden, ihr aus dem Weg zu gehen. Meistens konnte ich es mir nicht eingestehen, aber die Augen mit den wunden, dunklen Ringen taten mir weh. Es lag zu viel von unserer Mutter darin, und auch bei ihr hatte es nicht vorteilhaft ausgesehen.
    Unschlüssig nagte ich an den Lippen.
    »Sie haben Ezras Leichnam gefunden.« Das war eine Feststellung, keine Frage, und einen Moment lang spürte ich Druck hinter den Augen. »Vermutlich bist du deswegen hier.« In ihrem Blick lag keine Nachsicht, nur eine jähe Intensität, und statt Überraschung oder Reue zu empfinden, war ich beunruhigt.
    »Ja«, sagte ich.
    »Wo?«
    Ich erzählte es ihr.
    »Wie?«
    »Sie reden von Mord.« Aufmerksam betrachtete ich ihr Gesicht. Keine Regung. »Aber viel mehr weiß noch niemand.«
    »Hat Douglas es dir gesagt?«
    »Ja.«
    Sie beugte sich vor. »Weiß man, wer es getan hat?«
    »Nein«, erwiderte ich. Unvermittelt legten ihre Hände sich um meine, und ich fühlte den warmen Schweiß an ihren Handflächen. Ich war überrascht, als hätte ich inzwischen geglaubt, dass kein Blut in ihr floss — so kalt war sie mir erschienen. Sie drückte meine Hände, und ihr Blick wanderte dabei über mein Gesicht und nahm mich auseinander. Schließlich lehnte sie sich zurück an das rissige, nachgiebige Vinyl.
    »Und«, sagte sie, »wie kommst du mit all dem zurecht?«
    »Ich habe die Leiche gesehen«, antwortete ich, entsetzt über meine eigenen Worte. Trotz allem, was ich zu Douglas gesagt hatte, war es nicht meine Absicht gewesen, ihr davon zu erzählen.
    »Und ...«
    »Er war tot.« Das Schweigen dauerte über eine Minute. »Der König ist tot«, sagte sie, und ihre Augen schauten mich unbewegt an. »Hoffentlich verrottet er in der Hölle.«
    »Das ist ziemlich hart«, sagte ich.
    »Ja«, antwortete sie nüchtern, und ich wartete darauf, dass noch mehr käme.
    »Du bist anscheinend nicht überrascht«, sagte ich schließlich.
    Jean zuckte die Achseln. »Ich wusste, dass er tot ist.« Ich starrte sie an.
    »Warum?« Etwas Scharfes, Hartes gerann in meinem Magen.
    »Ezra hätte sich niemals so lange von seinem Geld oder seinem Ansehen getrennt. Nur der Tod hätte ihn davon fernhalten können.«
    »Aber er wurde ermordet«, sagte ich.
    Sie schaute zur Seite, hinunter auf den zerfallenden Teppichboden. »Unser Vater hat sich eine Menge Feinde gemacht.«
    Ich trank einen Schluck Bier, um ein paar Sekunden herauszuschinden, und versuchte mir einen Reim auf ihre Haltung zu machen.
    »Alles okay?«, fragte ich schließlich.
    Sie lachte. Es war ein verlorenes Geräusch ohne Verbindung zu ihren Augen. »Nein«, sagte sie. »Nicht alles okay. Aber das hat nichts mit seinem Tod zu tun. Für mich ist er am selben Abend wie Mom gestorben, wenn nicht schon früher. Wenn du das nicht begreifst, haben wir uns nichts mehr zu sagen.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte ich.
    »Doch, das weißt du.« In ihrem Tonfall war eine Schärfe, die ich noch nie wahrgenommen hatte. »Was mich angeht, ist er an diesem Abend gestorben, in der Sekunde, als Mom die Treppe hinunterfiel. Wenn du es nicht so siehst, ist das dein Problem, nicht meins.«
    Ich hatte Tränen erwartet und fand jetzt Zorn, doch er richtete sich gegen mich ebenso sehr wie gegen Ezra, und das beunruhigte mich. Wie weit hatten unsere getrennten Wege uns in so kurzer Zeit geführt?
    »Hör zu, Jean. Mom ist die Treppe hinuntergefallen und gestorben. Das ist für mich genauso schmerzhaft wie für dich.«
    Sie lachte wieder, kurz und bellend, aber jetzt klang es hässlich. »>Gefallen<«, echote sie. »Das ist köstlich, Work. Himmel, das ist einfach köstlich.« Sie fuhr sich mit der Hand über das
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