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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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Anspruch nehmen wollte, hatte sich bereits die Arztberichte über die Frau und Röntgenaufnahmen ihres Gebisses besorgt. Mit diesen Informationen ausgestattet, konnte Dr. Snow sehr schnell die Zähne und Zahnfüllungen mit denen auf den Röntgenbildern zur Deckung bringen. Indem er so ihre Identität bestätigte, schuf er für den Anwalt eine hieb- und stichfeste juristische Grundlage für Schadenersatzforderungen zu Gunsten der Angehörigen des Opfers. Anscheinend waren sie und ihr Freund ums Leben gekommen, weil der andere Lastwagen über die Mittellinie der Landstraße geschleudert war und sie frontal getroffen hatte. Der Wagen, der den Unfall verursacht hatte, gehörte der landesweit tätigen Supermarktkette Great Atlantic & Pacific Tea Company oder kurz A & P; vor Gericht konnte man hier also dicke Geldbörsen anzapfen.
    Dr. Snow berechnete für den Fall ein Beraterhonorar von 25 Dollar; fünf Dollar davon gab er mir, weil ich ihn mit meinem Auto zu dem Friedhof gebracht hatte. Nach meiner Vermutung strich der Anwalt aus der Kasse von A & P einen beträchtlich größeren Betrag ein.
    Ich wurde an jenem Tag nicht reich, aber ich hatte Blut geleckt. Zu sehen, wie man anhand verbrannter, zerbrochener Knochen ein Opfer identifizieren konnte, wie man ein altes Rätsel löst und einen Fall zum Abschluss bringt, faszinierte mich ungeheuer. Seit jenem Augenblick stand mein Entschluss fest: Ich wollte mich auf Gerichtsmedizin konzentrieren. Ich kehrte dem Jurastudium den Rücken, schrieb mich in Anthropologie ein und ging daran, die verlorene Zeit aufzuholen.
    Ein Jahr später, 1956, wollte mich die Harvard University in ihr anthropologisches Doktorandenprogramm aufnehmen. Das anthropologische Institut dieser Hochschule galt als das beste im ganzen Land, und ich empfand das Angebot als große Ehre. Dennoch lehnte ich ab. Was mich interessierte, konnte ich nur an einem einzigen Ort lernen: in Philadelphia, bei dem berühmten Knochendetektiv Wilton Krogman.
    Im September zog ich dorthin und begann an der University of Pennsylvania mit meinem Promotionsstudium. Ich kam gerade von einem Ferienjob an der Smithsonian Institution, wo ich Hunderte von Skeletten amerikanischer Ureinwohner untersucht und vermessen hatte. Ich war mittlerweile 27 - während des Koreakrieges hatte ich drei Jahre bei der Armee verbracht - und seit kurzem Familienvater: Mit Ann, meiner klugen jungen Frau, die später in Ernährungswissenschaft promovierte, hatte ich einen sechs Monate alten Sohn namens Charlie. Um Geld zu sparen, hatten wir mehrere Kilometer westlich des Zentrums von Philadelphia eine kleine Wohnung gemietet.
    Kurz nach Semesterbeginn stürzte Dr. Krogman in seinem Haus auf der Treppe und brach sich das linke Bein. Normalerweise fuhr er immer mit dem städtischen Bus zur Universität, aber nachdem ihm nun der Gipsverband fast bis zur Hüfte reichte, war es so gut wie unmöglich, zur Haltestelle zu gehen und den Bus zu besteigen. Da auch Krogman im Westen der Stadt wohnte, bot ich ihm an, ihn zur Arbeit und zurück mitzunehmen, bis er wieder genesen war. Ich stellte mir vor, dass wir ein paar Monate lang eine Fahrgemeinschaft bilden würden. So kam es, dass wir zweieinhalb Jahre lang zusammen fuhren. Die Heilung seines Beins dauerte nicht annähernd so lange, aber bis der Gips abgenommen wurde, hatte ich einen neuen Mentor gefunden, und er hatte einen neuen Jünger.
    Erstaunlicherweise belegte ich bei Krogman an der Pennsylvania State University nur eine einzige Vorlesung, aber die gemeinsamen Stunden im Auto wurden für mich zum Privatunterricht bei dem besten Knochendetektiv der Welt. Es war so, als hätte man die sokratischen Dialoge ins Automobilzeitalter verlegt, aber im Gegensatz zu Platon hatte ich den großen Lehrer ganz für mich allein.
    Krogman gab mir vieles zu lesen, und während wir dann hin und her fuhren, unterhielten wir uns darüber. Er hatte ein unglaubliches Gedächtnis für Autoren, Daten und Titel von Veröffentlichungen, kannte aber auch alle Einzelheiten aus den Artikeln selbst. Seine Fähigkeit, Kenntnisse aus verschiedenen Quellen miteinander in Verbindung zu setzen und auf forensische Fragestellungen anzuwenden, war phänomenal.
    Krogmans Unterricht beschränkte sich auch nicht nur auf das Auto. Jedes Mal, wenn er einen neuen Identifizierungsfall bearbeitete - eine Sammlung von Knochen, die ihm ein verblüffter Landarzt oder FBI-Agent brachte -, ließ er mich in sein Labor kommen. Zunächst untersuchte er die
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