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Der kleine Lord

Titel: Der kleine Lord
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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machen. Hallo, Bursch! Was ist denn los?«
    Die Porträts, von denen er gesprochen hatte, befanden
sich auf der ersten Seite und Dick starrte, Augen und Mund weit
aufgerissen und kreideweiß, unverwandt auf eins derselben.
    »Was bin ich schuldig?« fragte der Advokat.
»Was in aller Welt ist dir denn in die Glieder
gefahren?«
    Dick sah allerdings aus, als sei er vom Blitze
gerührt, und deutete, ohne ein Wort hervorbringen zu
können, auf das eine Bild.
    »Die
Mutter des Prätendenten (Lady Fauntleroy)« stand darunter.
    Das Bild zeigte eine hübsche Frau mit großen
Augen und dicken, mehrmals um den Kopf gelegten schwarzen Haarflechten.
    »Sie!« rief Dick endlich. »Die
– die kenn' ich besser als Sie!«
    Der junge Anwalt lachte.
    »Wo hast du denn die interessante Bekanntschaft
gemacht, Dick?« sagte er. »In New York? Oder
vielleicht bei Gelegenheit deiner letzten Spritztour nach
Paris?«
    Dick hatte nicht Zeit, diesen Witz zu begrinsen. Er begann,
seinen Putzapparat eilig zusammenzupacken, als ob es sich vorderhand um
sein Geschäft ganz und gar nicht mehr handeln könnte.
    »Einerlei,« sagte er, »ich kenn'
sie! Und für heut ist ausgeschafft.«
    Kaum fünf Minuten darauf eilte er im Sturmschritt an
Mr. Errols ehemaligem Häuschen vorbei in den Laden an der
Ecke. Mr. Hobbs wollte seinen Augen nicht trauen, als er, von seinem
Pulte aufblickend, Dick mit der Zeitung in der Hand
hereinstürmen sah. Der Junge war so außer Atem,
daß er kaum sprechen konnte und nur das Blatt auf den
Ladentisch warf.
    »Hallo!« rief Mr. Hobbs. »Hallo!
Was kommt denn da?«
    »Ansehen!« keuchte Dick. »Die
Frauensperson auf dem Bilde ansehen! Jetzt haben Sie's – ja
die! Die, die ist keine Adlige – die wahrhaftig
nicht,« rief er zornig auflodernd. »Die –
einem Lord seine Frau sein? In Stücke reißen soll man
mich, wenn's nicht Minna ist – Minna! Die würd' ich
überall erkennen, so gut wie Ben! Fragen Sie nur den!«
    Mr. Hobbs sank auf seinen Stuhl.
    »Ich hab's ja gesagt, daß alles eine
abgekartete Geschichte gewesen ist,« sagte er. »Ich
hab's ja gewußt. Und das haben sie ihm angethan, weil er ein
Amerikaner ist, einfach deshalb.«
    »Welche ›sie‹ haben's ihm
angethan?« brüllte Dick verächtlich.
»Die da hat's gethan – die und kein andrer Mensch!
Die hat immer voll Teufelei gesteckt, und ich will Ihnen auch sagen,
was mir eingefallen ist, gleich im Augenblicke, wie ich das Bild sah!
Da – in irgend so einer Zeitung hat's gestanden, etwas von
dem Bengel, ihrem Sohne, und daß er eine Narbe am Kinne habe!
Na, wenn der ihr Balg da ein Lord ist, dann bin ich auch einer! Bens
Kind ist's – der Knirps, der die Narbe abgekriegt hat, wie
sie den Teller nach mir hat schmeißen wollen.«
    »Professor Dick Tipton« war von Natur ein
kluger Junge, und sein Brot in den Straßen einer
Großstadt verdienen schärft die Sinne und lehrt Kopf
und Augen offen halten. Es muß übrigens zugegeben
werden, daß für ihn die Aufregung und Spannung dieser
Stunde eigentlich ein Hochgenuß war. Wenn der kleine Lord
Fauntleroy an diesem Morgen einen Blick in den ihm so lieben Ladenraum
hätte werfen können, so hätte ihn die Sache
wohl sehr »'tressiert«, selbst wenn die Beratungen,
die gepflogen, und die wunderbar kühnen Pläne, die
geschmiedet wurden, sich mit dem Schicksal eines beliebigen andern
beschäftigt hätten.
    Das Gefühl seiner Verantwortlichkeit hatte
für Mr. Hobbs etwas vollkommen
Überwältigendes, während Dick von Energie
und Leben übersprudelte. Er begann sofort, an Ben zu
schreiben, und schnitt das Bild aus der Zeitung, um es ihm beizulegen,
und Mr. Hobbs schrieb sowohl an Cedrik als an den Grafen selbst. Mitten
in dieser angestrengten Thätigkeit kam Dick ein erleuchtender
Gedanke.
    »Hören Sie,« begann er,
»der, der mir das Blatt gegeben hat, der ist A'v'kat. Den
könnten wir fragen, was zu thun ist, A'v'katen wissen das
alles.«
    Auf Mr. Hobbs machte dieser Vorschlag und Dicks große
Findigkeit überhaupt einen ungeheuren Eindruck.
    »So ist's!« erwiderte er laut, »Die
Sache schreit nach einem Advokaten.«
    Der Laden ward einem Stellvertreter übergeben
– in den Rock schlüpfen und sich auf den Weg machen,
war das Werk weniger Minuten. Die Verbündeten marschierten in
die Stadt hinunter und erschienen zum höchsten Erstaunen des
jungen Mannes in Mr. Harrisons Bureau, wo sie ihre romantische
Geschichte vortrugen.
    Wäre dieser
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