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Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Titel: Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
Autoren: Sven Regener
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    »Nirgendwo, das war ganz einfach, wenn man mal den Bogen raus hatte, Hauptsache es pupste immer was aus dem Ding raus, hört doch eh keiner, was das dann für ein Ton ist. Jedenfalls nicht im Spielmannszug des Soldaten- und Reservistenkomitees, das kann ich dir schwören. Wir kommen gleich im anderen Teil von Kreuzberg raus, das ist dann 61, wir müssen nach 36, wir hätten aufs Ufer fahren sollen.«
    »Vielleicht sollten wir uns doch mal schnell irgendwo einen Stadtplan kaufen.«
    »Wo willst du denn hier einen Stadtplan kaufen?«
    »Tankstelle, die werden hier doch wohl irgendwo eine Tankstelle haben.«
    Sie fuhren unter einer Reihe von Eisenbahnbrücken durch.
    »Da ist eine«, sagte Frank und fuhr an einer Tankstelle vorbei.
    »Brauchen wir nicht«, sagte Wolli. »Wir müssen nur mal irgendwo links abbiegen und dann rechts aufs Ufer.«
    »Wissen deine Punk-Leute eigentlich, daß du Tuba spielen kannst?«
    »Jetzt hör mal mit dem Tubascheiß auf, das ist ja schon ewig her, außerdem kann ich gar nicht Tuba spielen. Und bieg da jetzt mal links ab, dann kommen wir ans Ufer!«
    »Wissen deine Leute denn, daß du kommst?«
    »Nee, die wohnen in einem besetzten Haus, da haben die doch kein Telefon!« sagte Wolli.
    »Ich hab meinen Bruder auch nicht erreicht«, sagte Frank.
    »Jetzt rechts!« riefWolli.
    Sie fuhren an einem Kanal und einer Hochbahn entlang. An einem Hochhaus waren einige Glühbirnen über die ganze Breite und die halbe Höhe so angebracht, daß sie abwechselnd in Riesengröße die Wörter >PostGiro< schrieben.
    »Endlich«, sagte Wolli. Er drehte sich eine Zigarette. »Das wurde auch Zeit!« Sie standen an einer Ampel und Wolli zeigte auf ein großes, zurückgesetztes Gebäude. »Das ist die Amerika-Gedenkbibliothek«, sagte er.
    »Du kennst dich hier echt aus, Wolli!« staunte Frank. Er hatte Wolli noch nie so gesehen, so selbsrbewußt und so sehr Herr der Lage wie jetzt. Woll i zündete die Zigarette an. Dann nickte er. »Stimmt. Soll ich dir auch eine drehen?«
    »Ja«, sagte Frank, der seit semem vorgetäuschten Selbstmordversuch in der Kaserne nicht mehr geraucht hatte. Sie standen noch immer vor der Ampel. Sie sprang einfach nicht um. Um sie herum begannen die Autofahrer zu hupen, und dann fuhren vor ihnen die ersten bei Rot über die Ampel. Langsam ging es weiter.
    »Und wenn du dich jetzt hier so gut auskennst, Woll i«, sagte Frank, »mal ehrlich … «
    »Ja?«
    Frank scheute sich, die Frage zu stellen, für ihn war Woll i eigentlich bisher nicht der Typ gewesen, den man so etwas fragte, deshalb fuhr er erst einmal in Ruhe über die rote Ampel und die dahinterliegende, verstopfte Kreuzung und nahm unterwegs auch noch die Zigarette von Woll i entgegen und steckte sie sich unangezündet zwischen die Lippen, bevor er die Frage stellte. »Hast du irgendeinen Tip, was man hier beachten sollte? Ich meine: in Berlin und so. Gibt es irgendwas, worauf man achten sollte, wenn man hier wohnt?«
    »Wie meinst du das denn jetzt?«
    »Naja, so wie ich’s sage: Muß man irgendwas beachten, sollte man irgendwas wissen, wenn man hier wohnt? Ich meine, irgendwas, was man auf keinen Fall falsch machen sollte oder so?!«
    Woll i dachte eine Weile nach.
    »Nee«, sagte er schließlich überzeugt. »Das ist ja das Gute hier: Hier kann man nichts falsch machen. Hier ist alles scheißegal!«
    »Muß man nichts wissen oder beachten oder so?«
    »Nee«, sagte Wolli. »In Berlin wohnen ist wie Tubaspielen: Hauptsache, du pupst ordentlich rum!« Er lachte.
    »Dann ist ja gut«, sagte Frank und kam sich blöd vor. Jetzt ist es schon soweit, daß man sich vor Woll i blöd vorkommt, das ist bizarr, dachte er. Hinter ihnen ertönte eine Sirene, aber die Autos krochen einfach in zwei langen Schlangen weiter.
    »Aber laß die Finger von der Großen Pauke«, fügte Woll i hinzu. Dann lachte er schon wieder.
    »Okay«, sagte Frank. »Das ist doch schon mal was!«
    Jetzt wird er auch noch geistreich, dachte er. Langsam wurde der Mann ihm unheimlich, irgendwas ging mit ihm vor, seit sie in der Stadt waren.
    Wolli gab ihm Feuer, und Frank nahm einen Zug von seiner ersten Zigarette seit vielen Tagen.
    Ihm wurde sofort schlecht davon, aber er ließ sich natürlich nichts anmerken.
3.  ZIVILBULLEN UNTER SICH
    »Das sieht ganz schön duster aus«, sagte Frank.
    »Ja«, sagte Wolli, »normal, glaube ich.«
    »Das sieht aber sehr duster aus«, sagte Frank.
    »Ja klar«, sagte Wolli. »Ist doch klar, ich meine, das ist doch
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