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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer
Autoren: Pascal Mercier
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du weniger Schmerzen als sonst, die Hand auf dem Stockgriff ist nicht, wie sonst, weiß vor Anstrengung. Du kaufst mir den größten Globus, den sie haben. Es macht nichts, daß mir ein kleinerer eigentlich besser gefällt, die Hauptsache ist, daß es nun einen Gegenstand gibt, der uns verbindet, dich und mich. Man wird uns die riesige Weltkugel zuschicken, wir können das Geschäft unbeschwert verlassen.
    Natalie Lefèvre, der eigentliche Anlaß der Fahrt nach Bern, hat den Arm im Gips. Wir machen Blödsinn mit dem Gips, und wieder sehe ich dich lachen, Maman. Auch Natalie fällt auf, daß du anders bist als sonst. Geradezu ausgelassen.«Heute nehme ich die Treppe!»sagst du beim Abschied kühn und läßt uns vor dem Aufzug stehen. Die Ausgelassenheit hält an, bis wir am Schweizerhof vorbeikommen.«War es hier?»frage ich.«Ja, hier», sagst du.
    Acht Jahre später flogen wir beide nach Genf zu GP, der todkrank war. Es war das einzige Mal, daß ich dich hörte, wie du aus der Distanz heraus über ihn sprachst, und es machte dich für die Dauer des Flugs zu einem anderen, freieren Menschen.
    «Édouard de Perrin, sein Vater, war ein Tyrann, ich habe ihn noch erlebt. Ein Geldtyrann. Das einzige, was in seinen Augen zählte, war Geld. Nicht, um damit zu protzen. Er und Jacqueline, seine Frau, gaben wenig aus. Das Haus in der Genfer Altstadt, wo sie wohnten, war viel bescheidener als die Villa in Cologny draußen, die sie dem Sohn schenkten, als er Clara heiratete. Nein, Geld war für Édouard nicht etwas, was man vorzeigte, sondern etwas, was man hatte . Das Bankgeheimnis war etwas Großes, Heiliges, größer und heiliger als die Zehn Gebote. Georges, der Sohn, hat … comment dire … nie ein Verhältnis zur Weltanschauung des Vaters gewonnen. Der Alte wollte aus ihm machen, was er selbst war: einen unauffällig, aber teuer gekleideten, rastlosen Geschäftsmann, der jeden Centime sofort wieder investierte. Seine Vorbilder waren die hanseatischen Geschäftsleute aus Hamburg. Er ließ ihn eine kaufmännische Lehre machen, und zum Geburtstag schenkte er ihm Abonnements für die großen Wirtschaftszeitungen der Welt.
    Zwei Jahre hielt Papa durch, dann war er eines Tages spurlos verschwunden. Jacqueline erlitt einen Nervenzusammenbruch und gab Édouard die Schuld an allem. Nach mehr als einem Jahr, in dem er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen hatte, tauchte Papa wieder auf, leberkrank, aber selbständiger und mit dem Mut zum Widerspruch dem Vater gegenüber. Er beendete die Lehre, und Jacqueline setzte durch, daß ihm ein Teil des Vermögens überschrieben wurde, so daß er eigene Wege gehen konnte. Von Uhren und Schmuck wollte er nie mehr etwas hören. Er probierte vieles aus und landete schließlich bei Antiquitäten. Als er im Krankenhaus Clara kennenlernte, besserte sich die Beziehung zu Édouard schlagartig, denn sie wußte den Alten zu nehmen. Sogar einen Flügel kaufte er. Für die Gelegenheiten, wo sie zu Besuch kam. Doch das bessere Klima zwischen Vater und Sohn änderte nichts daran, daß Papa von dem vielen Geld daran gehindert wurde, … comment dire … sein eigenes Leben zu leben. Daß das jemandem gelingen konnte: Das war es, was ihn an Clara am meisten faszinierte. Er selbst hat sich von dem erstickenden Reichtum nur dadurch ein bißchen befreien können, daß er mit Geld um sich warf. Zu mehr hat es nicht gereicht. Dazu ist er zu bequem.»
    Ich weiß noch, Maman, wie erstaunt ich über diese letzten, harten Worte war. Die Stewardeß servierte das Essen, und wir schwiegen eine Weile. Plötzlich hatte ich das Gefühl zu begreifen: Deine Gefühle für GP waren viel komplizierter, als es den Anschein hatte, wenn du ihn gegen Kritik, auch die unausgesprochene, in Schutz nahmst. Und auch dein Verhältnis zu seinem Geld war nicht so einfach, wie es erscheinen mochte, wenn man sah, wie du die Belege der Kreditkarten unterschriebst: ganz gerade stehend, ohne dich auch nur einen Zentimeter zum Papier hinunterzubeugen, hast du mit gestrecktem Arm deinen Namen schnell und achtlos hingekritzelt. Mit deiner Weitsichtigkeit hatte das nichts zu tun. Es war die Haltung einer Frau, die es sich leisten konnte, Fragen des Geldes buchstäblich auf Abstand zu halten.
    Deine Gedanken müssen eine ähnliche Wendung genommen haben wie die meinen, denn als du wieder neben mir saßest, begannst du sofort von dem Mädchen aus der Ballettschule zu erzählen, dessen Eltern das Geld für eine Reise nicht aufbringen
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