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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens
Autoren: Jojo Moyes
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schwer es ist, wenn man alt und ganz allein ist …«
    Lauras Gedanken schweiften ab. Diese Litanei kannte sie auswendig: Keiner verstand, wie schwer es war, wenn man keinen Menschen auf der Welt mehr hatte, wenn man gebrechlich und bettlägerig und auf die Hilfe von Fremden angewiesen war … Sie hatte so viele Varianten dieses Klagelieds gehört, dass sie alle auswendig konnte.
    »… ein armer alter Mann wie ich, hab nur noch Sie und Matt. Niemanden, dem ich mein Hab und Gut vererben könnte … Sie haben ja keine Ahnung, wie weh es tut, so allein zu sein«, beendete er seine Litanei in fast weinerlichem Ton.
    Laura ließ sich erweichen. »Sie sind nicht allein, das hab ich Ihnen doch schon gesagt. Nicht, solange Sie uns als Nachbarn haben.«
    »Ich werde Ihnen meine Dankbarkeit schon zeigen, wenn ich nicht mehr bin. Das wissen Sie doch, oder? Diese Möbel da, in der Scheune, die gehören Ihnen, wenn ich mal nicht mehr bin.«
    »So sollten Sie nicht reden, Mr Pottisworth.«
    »Und das ist nicht alles, dazu steh ich! Ich weiß, was Sie all die Jahre für mich getan haben …« Er warf einen schrägen Blick aufs Tablett. »Ist das mein Milchreis?«
    »Nein, das ist eine Apfelspeise, aber sehr gut.«
    Der alte Mann legte Messer und Gabel beiseite. »Aber es ist doch Dienstag!«
    »Aber ich habe Ihnen nun mal eine Apfelspeise gemacht. Mir ist leider der Milchreis ausgegangen, und ich hatte keine Zeit, zum Supermarkt zu fahren.«

    »Ich mag keine Apfelspeise.«
    »Doch, die wird Ihnen schon schmecken.«
    »Bestimmt haben Sie die Äpfel aus meinem Garten geklaut.«
    Laura holte tief Luft.
    »Ich wette, Sie sind nicht halb so nett, wie Sie tun. Ich wette, wenn Sie was wirklich wollen, würden Sie auch dafür lügen.«
    »Die Äpfel sind aus dem Supermarkt«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Sie haben doch grade gesagt, dass Sie keine Zeit hatten, zum Supermarkt zu fahren.«
    »Ich hab sie vor drei Tagen gekauft.«
    »Dann kapier’ ich nicht, wieso Sie nicht auch gleich’ne Packung Milchreis kaufen konnten. Was sagt Ihr Mann dazu? Ich wette, Sie müssen ihn auf andere Weise bei Laune halten …«
    Er grinste lüstern, fletschte unter feuchten Lippen sein Zahnfleisch, dann machte er sich wieder laut schlürfend über die Kasserolle her.
     
    Als er nach Hause kam, war Laura mit dem Abwasch fertig und stand am Bügelbrett. Wutentbrannt bügelte sie auf seine Hemden ein. Der Dampf stieg in dicken Schwaden auf.
    Er bemerkte ihre hochroten Wangen, die angespannten Kiefermuskeln.
    »Alles in Ordnung, Schatz?« Matt McCarthy gab seiner Frau einen Kuss.
    »Nein, es ist verdammt noch mal nichts in Ordnung! Mir reicht’s!«
    Er zog seine Arbeitsjacke aus, deren Taschen sich beulten, weil er diverse Maßbänder und Werkzeuge darin aufbewahrte, und hängte sie über eine Stuhllehne. Er war von der Arbeit erledigt, und die Aussicht, auch noch eine schlecht
gelaunte Ehefrau beschwichtigen zu müssen, passte ihm gar nicht.
    »Mr P. hat sich einen Blick auf ihre Dinger erlaubt«, bemerkte Anthony feixend. Ihr gemeinsamer Sohn saß vor dem Fernseher, hatte die Füße auf den Sofatisch gelegt. Sein Vater fegte sie im Vorbeigehen herunter.
    »Was!?«, stieß Matt verärgert hervor. »Den werde ich mir sofort vorknöpfen und …«
    Sie knallte das Bügeleisen aufs Abstellgitter. »Ach, setz dich hin! Du weißt doch, wie er ist. Außerdem, das ist es gar nicht. Was mich stört, ist, dass er mich wie ein Dienstmädchen behandelt. Tagaus, tagein renne ich zwischen hier und dem großen Haus hin und her, um ihm seine Wünsche zu erfüllen. Aber jetzt reicht’s mir endgültig!«
    Als sie merkte, dass der Alte nicht aufhören wollte, seinem Milchreis nachzumaulen, war sie noch mal zurückgegangen, hatte eine Dose Fertigmilchreis aufgewärmt und zu ihm gebracht.
    Er hatte den Finger in die Schüssel getaucht und gemeckert: »Schon wieder ganz kalt!«
    »Das kann nicht sein. Ich habe ihn erst vor zehn Minuten heiß gemacht.«
    »Aber jetzt ist er kalt.«
    »Mr Pottisworth! Ich muss über den Bach und durchs Wäldchen, da kann das Essen schon mal ein bisschen abkühlen.«
    Seine Mundwinkel hatten sich mürrisch gesenkt. »Jetzt mag ich ihn nicht mehr. Mir ist der Appetit vergangen.«
    Seine Augen waren zu ihrem Gesicht gehuscht, und vielleicht hatte er das Zucken in ihrer Wange bemerkt. Sie fragte sich gerade, ob es wohl möglich wäre, einen Menschen mit einem Essenstablett zu erschlagen oder mit einem kleinen Löffel zu
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