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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens
Autoren: Jojo Moyes
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von ihr entfernt, auf einem Ziegelhaufen. Die Blutergüsse in seinem Gesicht und auf seinen Armen schillerten blaugrün.
    Sie wusste nicht, was sie hätte sagen sollen. Er sah so anders aus, so ganz anders als der Mann, den sie im Krankenhaus zurückgelassen hatte, so fremd, so distanziert. Sie waren durch die Katastrophe zusammengeworfen worden wie zwei Magneten, die, wenn sie nahe genug zusammenkommen, einander anziehen – nur, um sich gleich darauf wieder abzustoßen. Sie wünschte, er wäre schon weg gewesen, bevor sie kam. Andererseits war sie froh, dass er hier war.
    »Ich musste es sehen«, sagte sie, weil sie das Gefühl hatte, ihr Herkommen rechtfertigen zu müssen.
    Er nickte.
    »Es … es ist gar nicht so schlimm.« Sie lachte über die Absurdität dieser Aussage. »Ich meine … ich meine, es ist nicht mehr beängstigend.«
    »Wir haben großes Glück gehabt«, sagte er.
    »In gewisser Hinsicht.« Sie konnte ihre Bitterkeit über diese Äußerung nicht ganz vor ihm verbergen.
    Sie begann, langsam um das Einsturzgebiet herumzugehen, bückte sich gelegentlich, um etwas aufzuheben, was ihnen gehörte, eine Bürste, ein Bild. Die Feuerwehr hatte versucht, noch am selben Tag so viele Wertsachen wie möglich aus dem Haus zu retten. Ein Feuerwehrmann hatte gesagt: »Ich glaube, um Plünderer müssen Sie sich keine großen Gedanken
machen. Ich glaube nicht, dass viele wissen, dass hier überhaupt ein Haus steht.«
    Eine gedankenlose Bemerkung. Denn es stand ja kein Haus mehr. Aber das ist mir egal, redete sie sich ein. Sie besaß ohnehin kaum mehr etwas von Wert. Und das mit Byron wollte sie sich ebenfalls nicht so zu Herzen nehmen. Sie wusste jetzt, dass sie allein zurechtkommen konnte. Ein Neuanfang. Ein richtiger Neuanfang, nicht so wie vorher.
    Sie warf einen Blick zurück und sah, dass er sie noch immer ansah. Einen Moment lang schien es, als wollte er etwas sagen, doch dann kam nichts. Mit aufkeimendem Zorn wandte sie sich von ihm ab und stapfte weiter im Geröll herum, seinen Blick wie einen Hitzestrahl im Rücken.
     
    Byron sah zu, wie sie zwischen den im Gras verstreuten Gegenständen umherging, wie das schlecht sitzende T-Shirt sich an ihren Hüften bauschte. Er sah die Kratzer an ihren Armen und Händen, die Narben, nicht nur die neuesten, sondern auch die alten, die vom ganzen Sommer.
    Er wusste nicht, was er zu ihr sagen, wie er sich bei ihr entschuldigen sollte. Wie sollte er ihr erklären, was mit ihm passiert war? Wie ein kleines Leben im einen Moment zusammenstürzen und im anderen wie neugeboren wiedererstehen konnte?
    Die Arme voller Sachen wandte sie sich schließlich wieder zu ihm um. Als sie sah, dass er sie noch immer anstarrte, wurde sie rot.
    »Ich muss zurück zu den Kindern«, sagte sie. »Ich komme ein andermal wieder her.«
    Er rührte sich nicht.
    Auch sie stand still, als warte sie darauf, dass er noch etwas sagte. Dann, mit einem angespannten Lächeln: »Also tschüss.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht.
    Wie zwei Fremde, die sich auf der Straße begegnen.

    »Isabel«, sagte er, und seine Stimme hing unnatürlich laut in der stillen Luft.
    Sie hob die Hand über die Augen, damit sie ihn vor der untergehenden Sonne besser erkennen konnte.
    »Die hab ich gefunden.« Er hielt ihr die zerknitterten Blätter hin.
    Sie ging zu ihm, blieb gut einen Meter von ihm entfernt stehen. Wortlos nahm sie ihm die Papiere aus der Hand. »Meine Notenblätter«, sagte sie.
    Er konnte die Augen nicht von ihr abwenden. »Ich weiß, wie viel sie dir bedeuten.«
    »Du hast keine Ahnung, was mir wie viel bedeutet«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Er erschrak, als er ihr Gesicht sah. Die Wut, den Schmerz darin, wie eine klaffende Wunde, die er ihr zugefügt hatte. An diesen Gefühlen war nichts Oberflächliches, nichts Flüchtiges. Alles lag offen zutage. Sie versteckte nichts. Und in dieser Wut, in diesem Schmerz erkannte er sich selbst, erkannte er seine Gefühle für sie, erkannte er das, was er wochen-, ja monatelang nicht hatte wahrhaben wollen.
    In wenigen Momenten würde sie für immer aus seinem Leben verschwinden. Was soll ich bloß tun?, dachte er. Ich dachte, ich hätte noch tagelang Zeit, um es mir zu überlegen.
    »Viel Glück in Brancaster«, sagte sie steif und ging weg von ihm, auf ihr Auto zu. Plötzlich zog sich alles in ihm zusammen – wie eine schmerzliche Sehnsucht. Das Gefühl war so intensiv, so fremdartig, dass er es nicht ertragen konnte. Da fiel
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