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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst
Autoren: Peter Prange
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So viele Augen, die auf ihn gerichtet waren, so viele
Gesichter, aber ach, er würde genauso sterben, wie er gelebt hatte – allein.
Zeit seines Lebens hatte man ihn geachtet, Bischöfe und Kardinäle, Könige und
Kaiser hatten Respekt vor ihm gehabt und nicht wenige hatten ihn sogar
gefürchtet. Aber nie hatte es auch nur ein einziges menschliches Wesen gegeben,
das ihn geliebt hätte. Sein Amt hatte ihn wie ein Panzer von allen anderen
Menschen getrennt. Dabei hatte er sich stets nach einem anderen Menschen
gesehnt, nach Nähe und Wärme und Geborgenheit, nach der Liebe einer Frau, die
seine Sorgen und Nöte teilte, seine Hoffnungen und Träume, um ihn aus der
kalten Einsamkeit zu befreien, zu der die Vorsehung ihn bestimmt hatte und die
kein noch so kostbares irdisches Kleid hatte wärmen können. Seine einzige Braut
war die Kirche gewesen, sein Leben lang, ihr zuliebe hatte er das Verlangen
nach einer Frau besiegt, um seinem Namenspatron nachzueifern, dem Heiligen
Petrus, der den Schmutz der Ehe mit dem Blut seines Märtyrertodes abgewaschen
hatte.
    Würde er mit dem Tod aus dem Kerker seiner Einsamkeit erlöst?
    Der Scharfrichter hob sein Schwert.
    Â»Seid Ihr bereit, Eminenz?«
    Petrus da Silva schloss die Augen. Plötzlich war ihm ganz leicht
zumute, nicht mal der Schmerz in seinem Kiefer plagte ihn mehr – seit dem
Abend, da der Barbier des Papstes ihm den eiternden Zahn gezogen hatte, hatte
diese Qual ein Ende.
    Seltsam, warum hatte er sich nicht schon früher zur Extraktion
entschlossen?
    Petrus da Silva musste lächeln. »Tut Eure Arbeit, Herr«, sagte er
mit fester Stimme. »Ich bin bereit.«
    Das Schwert blitzte auf, ein kurzes, scharfes Sausen in der Luft,
und Petrus da Silva war nicht mehr.
    30
    Die Nacht hauchte in den Wäldern ihre böse Seele aus, und das
erste zarte Morgenrot erhellte den Horizont.
    Â»Schneller!«, rief Chiara.
    Der Wagenlenker ließ die Peitsche knallen.
    Â»Hüh, ihr lahmen Gäule! Hüh!«
    Â»Noch schneller! So schnell du kannst!«
    Â»Hüh, hab ich gesagt! Hüh!«
    Wiehernd fielen die Pferde in Galopp. Noch bevor die Dämmerung
angebrochen war, hatte Chiara Anna geweckt, um Nicchino in ihre Obhut zu geben,
und kaum hatte das Zwitschern der Vögel den neuen Tag angekündigt, hatte sie
den Wagen anspannen lassen, um zur Einsiedelei zu fahren, ohne einen Löffel
Brei oder ein Stück Brot zu sich zu nehmen. Keine Stunde länger wollte sie
ungenutzt verstreichen lassen, um wiedergutzumachen, was vielleicht nicht
wiedergutzumachen war. Der Traum hatte ihr die Augen geöffnet.
    Ich war ein Mensch, genau wie du …
    Wie selbstgerecht war sie gewesen, wie selbstgerecht und überheblich.
Nein, sie hatte nicht das Recht gehabt, ihn zu verurteilen. Vielleicht hatte
Teofilo ja die Wahrheit gesagt, vielleicht hatte er wirklich und wahrhaftig
alles daran gesetzt, ihr zu helfen. Und vielleicht trug sie selbst nicht
weniger Schuld an all den fürchterlichen Dingen, die geschehen waren, als er.
    Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den
ersten Stein …
    Nein, auch sie war nicht ohne Sünde, so wenig wie die Schriftgelehrten
und Pharisäer, die in Abt Bartolomeos Gleichnis die Ehebrecherin steinigen
wollten. Denn sie hatte sich gegen das kostbarste Geschenk versündigt, das Gott
ihr gegeben hatte. Und Teofilo in den Abgrund gestoßen.
    Das hier ist die Hölle. Und darin muss ich
bleiben, bis mich jemand befreit …
    Wieder sah sie sein Gesicht, die Tränen, die aus seinen Augen
rannen. Sie war seiner Seele begegnet, und der Wald war die Hölle gewesen, in
der er seine Strafe verbüßte. Wie konnte sie ihn daraus befreien?
    Wer weiß, meine Tochter, vielleicht bist du ja
ausersehen, seine Seele zu erlösen, durch die Liebe, die Gott dir eingegeben
hat, um diesen sündigen Papst vor der Verdammnis zu retten …
    Wie viele Jahre war das her, dass Abt Bartolomeo diese Worte gesagt
hatte? Es war nach Domenicos Tod gewesen. Sie hatte sich damals über das
Drängen ihres Vaters empört, Teofilo zum Mann zu nehmen, und war in ihrer Not
zu ihrem Beichtvater geflohen. Bartolomeo hatte ihr geraten, ihrem Herzen zu
folgen. Doch sie hatte nicht den Mut dazu gehabt. Zwar hatte sie in die Heirat
eingewilligt, doch als Teofilo ihr die Ehe aufgekündigt hatte, hatte sie den
Rat in den Wind geschlagen und ihre Liebe verraten, wieder und wieder
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