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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb
Autoren: Brom
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hatte Peter gestohlen, wie viele waren gestorben, wie viele
ausgejätet
worden? Peter selbst sagt dazu:
»Das Sterben wird ein Riesenabenteuer.«
     
    Zweifellos fließt in
Peter Pan
mehr als genug Blut: Piraten massakrieren Indianer und derlei mehr, aber das sind Erwachsene, die sich gegenseitig umbringen – das Übliche also. Sehr viel ungewöhnlicher erscheint mir dagegen der mordende Kindertrupp namens »verlorene Jungen«. Mit ihnen macht Peter Pan das Blutvergießen zum Sport. Er hat ihnen nicht nur beigebracht, gewissenlos und ohne Reue zu töten, sondern auch jede Menge Spaß dabei zu haben.
    Einmal diskutieren die Jungen stolz darüber, wie viele Piraten sie gerade abgeschlachtet haben:
»Waren es fünfzehn oder siebzehn?«
Und welches Kind würde keine Freude haben an Sätzen wie:
»Sie waren leichte Beute für die Degen der anderen Jungen«
,oder:
»Er hob einen der Jungen mit seinem Haken in die Höhe und benutzte ihn als Schild, und ein weiterer, der gerade Mullins mit dem Schwert durchbohrt hatte, sprang in die Bresche.«
Nichts bringt mehr Freude in die Bude als umherspritzende Innereien.
    Noch erschreckender ist jedoch Peters Fähigkeit, all diese Dinge – Kindesentführung, Mord – zu tun, ohne auch nur eine Spur von Gewissensbissen zu zeigen.
»›Sobald ich sie getötet habe, vergesse ich sie wieder‹, antwortete er achtlos.«
     
    Als ich anfing, über die beunruhigenden Aspekte dieses Kinderbuchs nachzudenken, fragte ich mich, wie es wäre, den Schleier von James Matthew Barries poetischer Sprache beiseitezuziehen und die sich dahinter verbergende Gewalt und Barbarei ungeschminkt zu zeigen.
    Wie würden Kinder
wirklich
reagieren, wenn man sie entführen und in so eine Situation bringen würde? Wie leicht oder schwer wäre es für sie, dem Bann eines charismatischen Soziopathen zu erliegen, die moralischen Fesseln unserer Zivilisation abzustreifen und zu kaltblütigen Mördern zu werden? Angesichts dessen, was im modernen Bandenwesen vor sich geht, und wenn man bedenkt, wie schnell Teenager sich zuweilen ihre eigene Moral schaffen, um jede noch so grausame Tat zu rechtfertigen, behaupte ich, dass es ihnen wahrscheinlich nicht besonders schwerfallen würde.
    Diese Überlegungen stellten den Keim für
Der Kinderdieb
dar.
     
    Ich wusste, dass ich Barries
Peter Pan
nicht einfach nacherzählen, sondern meinen eigenen Peter und meine eigene Welt erschaffen wollte – und mit ihr die dunklere Geschichte hinter dem Kindermärchen. Ich vertiefte mich also in ebenjene schottischen Märchen, Mythen und Legenden, von denen sich auch James Barrie inspirieren ließ. Zu meinem Entzücken stieß ich auf einen wahren Schatz an Volksmärchen, aus denen ich dieMythologie für
Der Kinderdieb
zusammenstellen konnte. Da diese Legenden mir dabei geholfen haben, den Kurs für diesen Roman zu bestimmen und ihn zu entwickeln, interessiert sich vielleicht der eine oder andere dafür, weshalb ich sie hier aufführe.
    Ich habe festgestellt, dass diese Mythen sich je nach Quelle oder Region in Details unterscheiden, und von vielen dieser Varianten habe ich in
Der Kinderdieb
ausgiebig Gebrauch gemacht. Hier seien die geläufigsten Erzählstränge und Elemente benannt, auf die ich zurückgegriffen habe:
     
    Avalon: Avalon, walisisch »Ynys Afallach«, ist eine Insel der Anderwelt. Ursprünglich beherrschten sie Avallach und seine Tochter Modron. Dort wurde Caliburn (Excalibur) geschmiedet, und dorthin brachte Morgan le Fay (Modron) nach der Schlacht von Camlann König Artus, um seine Wunden zu heilen. Wie der Name Avalon (von
afal
oder
Apfel
) ist auch der Apfel eines der bekanntesten Symbole für diese Insel und findet sein Gegenstück in den griechischen Hesperiden, den altnordischen Äpfeln der Jugend und der judäochristlichen Frucht vom Baum des Lebens.
    Avalon steht in engem Zusammenhang mit einer ähnlichen Insel der Anderwelt, Tír na nÓg, die auf Englisch
Land der ewigen Jugend
oder
Land der ewig Jungen
heißt, weshalb ich diese beiden mythischen Inseln in gewissem Maße zusammengefasst habe. Tír na nÓg ist wahrscheinlich am bekanntesten für die Legende von Oisin, einem der wenigen Sterblichen, die dort gelebt haben, und von Niamh mit dem Goldhaar. Dort ließen sich die Tuatha Dé Danann oder Sidhe nieder, als sie die Oberwelt von Irland verließen. Tír na nÓg galt als Ort, der weit im Westen lag, jenseits aller Karten. Er war entweder durch eine entbehrungsreiche Reise oder durch eine Einladung von einem
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