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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb
Autoren: Brom
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sah von einem Gesicht zum anderen. Die Hexe grinste süffisant, die Mädchen lächelten böse, die Blicke der Elfen waren kalt. Nur Tanngnost wirkte ehrlich betrübt über den Tod des Jungen.
    »Es tut mir leid, Peter«, sagte der alte Troll. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun.«
    »Nun komm schon, mein Junge«, sagte die Dame. »Wir müssen uns beeilen.«
    Sie wandten sich ab und ließen Peter stehen, mitten zwischen den niedergestreckten Leibern seiner Teufel.
     
    Nick schauderte und spürte, wie eine betäubende Kälte auf sein Herz zukroch.
Ich schaffe es nicht
, dachte er.
Ich werde meine Mutter nie wiedersehen
. Tränen kullerten ihm über die Wangen.
Ich muss ihr sagen, dass es mir leidtut. Und wie sehr ich sie liebe. Ich muss
.
    »Peter«, rief Nick kraftlos.
    Der Junge hörte ihn nicht.
    »Peter«, rief Grille. »Peter.«
    Der Gerufene löste langsam den Blick von der Dame, kam herüber und kniete neben ihnen nieder.
    »Du musst etwas für mich tun«, sagte Nick.
    Peter nickte gedankenverloren.
    »Du musst meine Mutter finden.« Nick hustete. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer. »Sag ihr, dass ich sie liebe. Und dass es mir leidtut. Noch was, Peter.« Nick packte ihn am Arm und zog ihn dichter heran. »Töte sie.
Töte
Marko und seine Freunde. Wirst du das für mich tun?«
    Peter antwortete nicht. Er sah zur Dame hinüber. Tanngnost trug sie fort, und die Flüchtlinge aus Avalon folgten den beiden Richtung Hafen.
    »Peter, sieh mich an. Du hast mir etwas versprochen. Du hast es geschworen. Keine Spielchen diesmal. Du
musst
es für mich tun. In Ordnung?«
    »Ich tue, was ich kann, Nick.«
    »Nein, schwör es! Schwör es,
verdammt noch mal
. Halt deine Finger diesmal so, dass ich sie sehen kann, und schwör es.«
    Peter senkte den Blick. »Nick, das kann ich nicht. Nicht jetzt. Es gibt noch immer Dinge, die ich erledigen muss.«
    »Du Volldepp«, krächzte Nick. »Hör mir zu. Sie wohnt in der Nähe von dem Park, in dem du mich angesprochen hast. In der Carroll Street, gleich bei der Fourth Avenue. Das blaue Haus. Nicht zu verfehlen.« Nick hustete und spuckte Blut. »Geh dorthin und
töte
Marko. Das bist du mir
schuldig
. Das bist du mir verdammt noch mal schuldig.«
    Peter nickte, sagte jedoch kein weiteres Wort.
    Grille schluchzte.
    Nicks Hände wurden gefühllos, und Peters Arm löste sich aus seinem Griff. Er wollte mehr sagen, wollte Peter dazu
zwingen
, es zu schwören. Er wollte in seinen Augen erkennen, dass erMarko wirklich töten würde. Aber das Sprechen wurde zu anstrengend, und er lächelte den goldäugigen Jungen nur schwach an. »Die Dame«, sagte Nick. »Sie hat dir deine Seele gestohlen.«
    Nicks Sicht verschwamm.
Es ist so kalt hier
, dachte er und wünschte, dass seine Mutter da wäre. Er wünschte, sie noch einmal sehen zu können und ihre warme Umarmung zu spüren. Das wäre so schön, so gut. Er schloss die Augen.
     
    Peter sah, wie Nicks Hand leblos zu Boden fiel.
    Grille starrte ihren Freund an. Sie weinte nicht mehr, sondern starrte nur noch ins Leere. Ihr Blick verlor sich in weiter Ferne.
    Die Stimme der Dame trieb durch die letzten Nebelfetzen an Peters Ohren. »Mein Junge, komm zu mir.« Der kleine Trupp wartete im Schatten der Bäume auf ihn.
    »Grille«, sagte Peter. »Lass uns verschwinden.«
    Das Mädchen musterte ihn wie einen Fremden, dann sah sie in die Schatten, dorthin, wo die Dame wartete. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich komme nicht mit.«
    »So viel liegt vor uns, wir müssen …« Peter hielt inne und stieß einen erschöpften Seufzer aus. Er berührte sie an der Schulter. »Lebwohl, Grille.«
    Sie blickte nicht auf.
    Peter erhob sich, zog Caliburn aus der Erde und musterte die geborstene Klinge.
Ich war dabei
, dachte er,
als diese Klinge zerbrochen ist. Ich habe an seiner Seite gestanden, an der Seite des Gehörnten, meines
Vaters
, als er mit ihr in die Schlacht zog
.
    Er nahm Ulfgers Umhang von dem steifen Leichnam und wickelte die tödliche Klinge darin ein. Dann wandte er sich ein letztes Mal zu den Toten um und betrachtete jedes Gesicht ganz genau, zuletzt das von Nick. »Ich werde es nicht vergessen.« Damit drehte er sich um und folgte der Dame.
     
    Am Südzipfel des Parks holte Peter sie ein. Der Nebel hatte sich verzogen, und er sah die grün leuchtende Freiheitsstatue im Hafen.
    Einer der Elfen sprang auf die Hafenmauer und zeigte hinunter. »Dort, ein Schiff.« Der Elf kniff die schmalen Augen zusammen und sagte überrascht:
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