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Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)

Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)

Titel: Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
Autoren: Lara Adrian schreibt als Tina St. John
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hatte.
    »Was, zum Teufel, hat sie dort zu suchen?«, murmelte er verwundert. Doch eine düstere Vorahnung beschlich ihn.
    Die Frau lief gefährlich nah an den schroffen Klippen entlang – ganz so, als wolle sie zum Wasser laufen, das weit unten gegen die Küste brandete.
    War sie dem Irrsinn verfallen?
    Offensichtlich, denn während er wie gebannt zu den Klippen blickte, sah er, dass die Frau womöglich gleich in die Tiefe springen würde. War sie nun tatsächlich irrsinnig oder von Schwermut befallen? Er vermochte es nicht zu sagen, konnte aber auch nicht tatenlos zusehen. Die Ehre zwang ihn, einzuschreiten und zu verhindern, dass der Tod, der ihm seine Freunde genommen hatte, schon nach so kurzer Zeit wieder an diesem Ort zuschlug.
    Kenrick wich von dem Fenster zurück. Die Frau rannte, als sei sie nicht ganz bei Sinnen; ein falscher Schritt am Rand der Klippe, und ihr drohte ein furchtbares Ende. Unsicherheit lähmte ihn für einen Augenblick, denn er fürchtete, dass er niemals rechtzeitig zu den Klippen gelangen könnte.
    Kaum war ihm dieser schreckliche Gedanke durch den Kopf geschossen, da sah er, dass die Frau einen Satz nach vorn machte und zu Boden stürzte. Soweit Kenrick es in der Dunkelheit erkennen konnte, blieb sie reglos liegen, nur wenige Schritte von der gähnenden Tiefe entfernt.
    »Bei allen Heiligen!«, rief er, drehte sich auf dem Absatz herum und stürmte die Wendeltreppe hinunter.
    Seine Sporen kratzten auf den Steinen, als er, drei Stufen auf einmal nehmend, nach unten eilte, nur die reglose Gestalt am Abgrund vor Augen. Er lief über die verkohlten Holzdielen im Erdgeschoss, vorbei an den blakenden Fackeln, die er in den gusseisernen Halterungen entzündet hatte und die nun im Luftzug flackerten. Die eisenbeschlagene Tür des Wohnturms knarrte in den Angeln, als er sie aufstieß und die letzten Stufen in den Hof hinunter eilte. Feuchte Seeluft wob einen feinen Nebel in die kühle Nachtbrise. Kenrick vertrieb die dünnen Schwaden mit den Händen, den Blick allein auf die leblose Gestalt geheftet, die dort jenseits der Wiese lag. Seitdem er sie vom Fenster aus hatte stürzen sehen, hatte sie sich offenbar nicht mehr bewegt.
    Kenrick rannte nun, hatte alsbald die Wiese hinter sich gebracht und erreichte schließlich die Frau. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem steinigen Boden nah am Abgrund. Weit unten konnte man die mächtige Brandung hören. Gischtkronen ritten auf den Wellen, die das schroffe Gestein am Fuße der Klippen umspülten. Vermutlich wäre die Frau kopfüber in die Tiefe gestürzt, hätte ihr nicht ein Stein im Weg gelegen.
    Doch Kenrick stellte rasch fest, dass diese Frau zwar einem Sturz in den Abgrund entkommen sein mochte, aber nichtsdestoweniger vom Tode bedroht war.
    Denn kaum hatte er sie am Ärmel berührt, da spürte er, wie ungewöhnlich warm sie sich anfühlte. Hitze entströmte den Schichten der schlichten Wollkleidung. Das feuchte Haar hing ihr wirr ins Gesicht – das waren lange rötlich braune Locken, schmutzig und von kleinen Zweigen durchsetzt. Vorsichtig hob er eine nasse Strähne an, die den Blick auf ihre blasse, eingefallene Wange freigab. Der Geruch scharfer Kräuter haftete ihrer Kleidung an, und erst jetzt fiel ihm ein, dass er diesen Geruch auch schon vom Friedhof her kannte, als er einen kurzen Blick auf die Frau erhascht hatte.
    Es war ein stechender Geruch, der sich nun mit dem salzigen Sprühregen der See vermischte. Kenrick zog die Hand von ihrer glühenden Stirn fort und wandte sein Gesicht der frischen Meeresbrise zu.
    Wer auch immer sie sein mochte, sie wirkte in ihrer zerlumpten Kleidung verwahrlost – und wenn er sich nicht irrte, befand sie sich in den Klauen eines heftig wütenden Fiebers.
    Sacht umfasste er ihre Schulter und drehte die Frau auf den Rücken. Als er sah, wie es um die Verletzte stand, stieß er einen entsetzten Fluch aus.
    Sie hatte dunkel verfärbte Würgemale am Hals und eine stark blutende Wunde an der Schulter. Dem Geruch nach schwärte die Verletzung bereits, und gegen den Eiter hatte wohl auch das Beutelchen mit den streng riechenden Kräutern wirken sollen, das die Frau unter dem Mieder ihres Kleides trug. Sie hatte eine Menge Blut verloren und schien auch jetzt noch zu bluten, denn die Wunde war feucht, der Stoff von Blut durchtränkt. Sie war dem Tode geweiht, doch als Kenrick sich über sie beugte, spürte er ihren flachen, regelmäßigen Atem.
    Er schien nicht viel für sie tun zu können, doch vielleicht
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