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Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)

Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)

Titel: Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
Autoren: Lara Adrian schreibt als Tina St. John
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sie sich nun nicht mehr im Schutz der Baumgruppe befand, sondern auf offener Fläche, wehte der Wind frischer und kühler. Ihr Umhang bauschte sich in der Brise und wirkte wie ein geisterhaftes Segel in einer beinahe sternenklaren Nacht.
    Oben am Himmel jagten schmale Wolken über den Himmel, hoben sich grau von dem schwarzen Firmament ab. Wie dünne Rauchsäulen, Finger aus Qualm, die sich ihr entgegenstreckten … und sich um ihren Hals schlossen. Sie würgten.
    Ihre Sinne waren umnebelt. Aus den unscharfen Tiefen der Nacht packte sie eine erbarmungslose Hand. Sie rang nach Atem, und ihre Finger versuchten, die Klaue abzuwehren, die sich um ihren Hals schloss.
    Sterben … das Leben wich ihr aus dem Leib …
    »Nein«, wisperte sie, fasste sich an die Schläfe und begehrte gegen die Trugbilder auf, die von allen Seiten auf sie einzustürmen schienen.
    Sie erinnerte sich, wie sie verzweifelt versucht hatte, sich von kräftigen Händen loszureißen. Irgendwie musste es ihr auch gelungen sein, zumindest für einen Moment. Bis Metall vor ihr aufblitzte, wie ein zuckendes Licht inmitten des Rauchs. Dann brach das Feuer in ihrer Brust aus. Weiß glühend, grell wie Blitze. Sie konnte weder sehen noch denken. Dunkelheit hatte sich auf sie herabgesenkt, schneller als jede Wolke aus Asche und Ruß.
    Er hatte ihr nach dem Leben getrachtet, aber sie war ihm entkommen. Mit knapper Not.
    Nun hastete sie stolpernd über die Wiese, drängte mit zittrigen Händen die Binsen beiseite, die ihr fast bis zur Hüfte reichten. Frische Windböen wehten ihr ins Gesicht, doch in ihrem Fieberwahn rang sie keuchend nach Atem, als wäre sie von einer beißenden Qualmwolke umfangen. Der Rauch brannte ihr in den Augen, als die Bilder sie erneut bestürmten. Sie war wieder an jenem Ort, in der kleinen Burg auf der Anhöhe.
    Wieder war der Tod ihr Begleiter, wie in jener Nacht. Bei jedem unsicheren Schritt fühlte sie seinen kalten Atem, der sie ebenso vorantrieb wie der Nachtwind. Bald, das wusste sie, würde sie die Klauen des Todes zu spüren bekommen. Zwar fürchtete sie ihr Ende nicht, war aber auch nicht bereit, sich kampflos zu ergeben. Fest entschlossen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, drängte sie ihre Beine, sie schnell fortzutragen, während sie auf die verheißungsvollen Laute des rauschenden Meeres lauschte.
    Wasser, dachte sie, und dieses eine Wort wirkte wie Balsam auf ihre schwere Zunge. Das Wasser würde das Feuer löschen, das ihren Leib aufzehrte und ihre Sinne beeinträchtigte. Sie musste nur die Küste erreichen, dann wäre sie in Sicherheit.
    Als sie die Kraft der schäumenden Wogen hörte, lief sie schneller. Die See konnte nicht mehr weit sein. Die hohen Binsengewächse auf der Wiese wichen allmählich Grasbüscheln und Moosen, nur von Steinen unterbrochen. Schon bald würde sie den Sand unter den Füßen spüren, dann die sacht plätschernden Wellen. Gleich hatte sie es geschafft.
    In ihrer Eile und mit Sinnen, die vom Fieberwahn benebelt waren, stolperte sie über einen der schroffen Steine. Hart schlug sie auf dem Boden auf. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre linke Schulter, die Luft war ihr bei dem harten Aufprall weggeblieben. Etwas Warmes, Zähflüssiges lief an ihrem Ärmel entlang und tropfte auf ihr Mieder.
    Blut, wie sie trotz ihres dämmrigen Geistes ahnte.
    Nun war sie ihrem Ende näher denn je. Die Erkenntnis betäubte sie, als sie so dalag und ihr Herz dumpf in der Brust schlagen hörte. Dies war also der Tod? Sie wollte weiter darüber sinnieren, ergab sich aber schließlich den dunklen Schatten, die sie aller weiteren Gedanken beraubten.

3
    Eine huschende Bewegung weiter hinten auf der Ebene, die ins Sternenlicht getaucht war, erregte Kenricks Aufmerksamkeit. Er hob den Kopf und spähte vom Fenster des Wohnturms angestrengt in die Nacht, meinte er doch, nicht weit von den Klippen eine Gestalt entdeckt zu haben, die dort herumlief.
    Nein, verbesserte er sich gleich. Jene Person ging nicht, sie rannte geradezu. Scheinbar achtlos stolperte sie an dem jäh abfallenden Abgrund entlang, der Greycliff Castle seinen Namen gegeben hatte. Die Gestalt trug einen hellen Umhang, der sie ganz verhüllte. Der breite Saum war ein Spielball des Windes, der von der See her landeinwärts blies; der Stoff flatterte wie Schwingen aus blasser, zerschlissener Wolle. Dieses zerlumpte Kleidungsstück hatte Kenrick erst wenige Stunden zuvor gesehen, und zwar eben an der zierlichen Frau, die ihn auf dem Friedhof beobachtet
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