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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels
Autoren: Horus W. Odenthal
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nahm der Abend seinen Lauf und die Welt war in Ordnung, bis sie zu fortgeschrittener Stunde und gut betankt ihren Heimweg antraten und dabei zum Ufer des Flusses kamen.

    Auric bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte, als im Gewebe nächtlicher Geräusche, dem nahen Lachen und angetrunkenen Palavern seiner Gefährten, dem leisen Schlappen des Flusses an seine steinumfassten Ufer, dem fernen Stimmengemurmel aus den Wirtshäusern und Etablissements des Vergnügungsviertels her, plötzlich ein Riss entstand.  
    Die Schatten alter, aufgegebener Lastkräne blickten auf sie herab, mürrisch und verlassen, die vor sich hin rottenden Hüllen alter Schuppen und Lagerhäuser bildeten eine langsam verfallende Barriere zwischen ihnen und der ersten schartig schiefen Zeile eng gedrängter schmaler Bauten, ehemaliger Wohnhäuser der Schauerleute oder Kontorhäuser der Handelsleute. Mit der Schauerbank hatte es nichts Schauriges auf sich; sie war ursprünglich einmal, vor der Zeit des neuen Hafens, jener Uferabschnitt des Ziamur gewesen, wo auf dem Fluss transportierte Waren geschauert, also verladen wurden.
    Auric und Kudais Blicke trafen sich in einem Moment gemeinsamer Irritation.
    Jag und Nefraku waren bereits vorausgegangen, zum Fluss hinunter, waren jetzt ihren Blicken entzogen, jenseits der die Uferstraße begrenzenden hüfthohen Mauer und einer in engen Stufen zum Ufer herabführenden Treppe. Mit einem Mal war der Faden ihres auf und ab torkelnden, von unten hohl wie aus einem Tunnel zu ihnen heraufhallenden Gesprächs abgerissen. Stattdessen ein Klappern und Scharren auf feuchten Ufersteinen.
    Er und Kudai lösten alarmiert ihre überraschten Blicke voneinander, hasteten zur Treppe. Das Aufschrecken und die Konzentration, auf den engen, abgelaufenen Stufen nicht zu stürzen, ließen ihn schlagartig nüchtern werden.
    Stolpernd, halb stürzend kam er vor Kudai am Fuß der Treppe an, sah zunächst nur huschende Schatten und ein langes, dünnes Aufblitzen wie von Klingen im Dunkel, dort zwischen Fluss und aufragender Mauer, direkt vor dem breiten, schwarzen Schlund eines ausladenden Brückenbogens. Ohne weiter nachzudenken stürzte er darauf zu, Kudai ein Zwillingsschatten hinter ihm. Seine Hand zuckte zum Schwertgriff über seiner Schulter, instinktiv. Sein Verstand hielt ihn zurück. (Keine Waffen heute. Dies war Idirium, dies war die Zivilisation. Hier ging man nicht in wilder Kriegshorde mit dem Schwert aufeinander los.)
    Die huschenden Schatten dort vorne schienen solche Regeln der Zivilisation nicht zu stören. Sie gingen exakt wie eine wilde Kriegshorde mit gezogenen, blitzenden Klingen auf zwei weitere Schatten, unzweifelhaft Jag und Nefraku, los.  
    Die waren ebenfalls schlagartig nüchtern geworden. Man hörte Klappern, Klirren und Schreien in der Dunkelheit, sah das hektische Drängen und Huschen kaum unterscheidbarer Schemen. Es war düster hier unten. Die Lichter der Schauerbank wurden durch die dunkle Masse der hohen Ufermauer verdeckt, die Lichter der anderen Flussseite lagen hinter dem schwarz schweigenden Band des Ziamur – einmal standen sie still, ein weiteres Mal schwammen sie gespiegelt und schwankend auf den Fluten –, zu weit entfernt, um ihrem Ufer wirklich Licht zu spenden. Er sah, dass Jag und Nefraku auf Gefechtskreisabstand gingen, in knappen, konzentrierten Bewegungen den Klingen der Angreifer auswichen. Professionell. Standen aber trotzdem unbewaffnet gegen eine bewaffnete Überzahl. Acht waren es.
    Die Gesichter der Angreifer, hellere Ovale im Grau, zuckten verwundert in ihre Richtung, erblickten die unvermutete Verstärkung ihrer Opfer. Erleichterung glaubte Auric in ihren nur schwach erkennbaren Mienen zu erblicken, als sie sahen, dass die Verstärkung nur aus ihnen zweien bestand: Noch immer in der Überzahl, noch immer bewaffnet gegen unbewaffnete Gegner, das schienen ihre Gesichter zu sagen.  
    „Die kriegen‘s gleich auch“, schrie einer von ihnen, „hängen bestimmt eh alle zusammen“, und schwenkte ein Kurzschwert in Aurics Richtung.  
    Noch immer gegen eine Überzahl, noch immer unbewaffnet gegen bewaffnete Gegner, musste Auric seinerseits registrieren. Also schnell handeln und sie schocken, bevor sie ihre Überlegenheit zum Nutzen bringen können.
    Also stürzte er auf den ersten zu.  
    Doch der war geistesgegenwärtig, senkte sein Schwert, versuchte erst gar keine tollkühnen Hiebe und Schläge, streckte es einfach, sich der längeren Reichweite seiner Waffe gegen bloße
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