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Der Katalysator

Der Katalysator

Titel: Der Katalysator
Autoren: Charles L. Harness
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weil es der Wohnungsbaugesellschaft Manhattan noch nicht gelungen war, eine zuverlässige Methode zum Zusammenklappen einer Toilette zu finden. Sämtliche Möbel (zwei Stühle, ein Küchen-/Arbeitstisch, ein 90-cm-Bett) mußte man von der Wand herunterklappen. Die restlose Einkapselung der Dinge des täglichen Bedarfs reduzierte den erforderlichen Wohnraum auf sechzehn Quadratmeter und resultierte in der höchsten Bevölkerungsdichte pro Raumeinheit in ganz Nordamerika. Weltweit wurde diese Gegend nur durch einen Vorort von Bombay übertroffen, wo die Bewohner in einem Gewirr von großen Abflußröhren hausten, die eine nervöse Regierung zur Verfügung gestellt hatte.
    Im ersten Jahr nach der Fertigstellung war eine ganze Reihe von Bewohnern in Marys Haus (das ursprünglich Bird’s Nest Apartments geheißen hatte) an Klaustrophobie erkrankt. Es hatte mehrere Prozesse gegeben, und die daraus resultierende Publicity hatte das Vermieten des Apartments erschwert. Die Hausverwaltung ließ daraufhin (und nachdem sie sich von einer Firma von Industriepsychologen hatte beraten lassen) in jeder Wohnung eine Multivisionsanlage installieren. Diese Anlagen bestanden aus einer Serie von Luminex-Schirmen, die den oberen Teil der Wände und die gesamte Decke bedeckten. Sie wurden aus der Perlenbank von International Computers in Lawrence, Kansas, gespeist. Man konnte zwischen Tausenden von verschiedenen Panoramen wählen, angefangen bei Mars- und Mondlandschaften bis zum Distrikt Columbia, von der Spitze des Washington Monuments aus gesehen. Außerdem konnte der Bewohner die Tageszeit wählen, und er konnte das Panorama in einem Vierundzwanzig-Stunden-Zyklus projizieren, so daß man einen beständigen Wechsel von Licht und Schatten, Sonne, Mond, Wolkendecke und (in klaren Nächten) sogar die Bewegungen der Sterne am Himmel sehen konnte. Ein Audiosystem gab es nicht, aber das störte niemanden.
    Die Illusion von endlosem Raum war verblüffend. Die Verwaltung änderte prompt den Namen des Gebäudes in Penthouse Panorama, und schon nach kurzer Zeit waren wieder alle Wohnungen belegt.
    Hin und wieder gab es noch Probleme. Ein Mieter, der sich anscheinend plötzlich auf dem Gipfel des Mount Everest gefunden hatte, erlitt einen Schwindelanfall, wurde ohnmächtig und stürzte so unglücklich gegen den Klapptisch, daß er sich einen Schädelbruch zuzog. In diesem Fall gelangte man zu einer außergerichtlichen Einigung. Es gab auch Akrophobiker und Agoraphobiker, die sich der angebotenen Illusionen um keinen Preis bedienen wollten. Sie waren gerade wegen der räumlichen Enge der Apartments hierhergezogen und verlangten, daß die Luminex-Schirme entfernt wurden. (Das geschah auch.)
    Nachdem im Hause wieder Ruhe eingekehrt war, hatte es nur noch einen einzigen Prozeß gegeben, und den hatte die Baugesellschaft gewonnen. Ein unglückliches Liebespaar hatte versucht, Selbstmord zu begehen. Die beiden wollten über den Rand des Gran Canyon springen, aber dabei zerschmetterten sie lediglich eine Reihe von Bildschirmen und trugen Glassplitterverletzungen im Gesicht davon.
    Am liebsten hatte Mary den Blick auf Paris von der Spitze des Eifelturms. Sie genoß es, das Panorama morgens einzuschalten und dann ihren Toast zu essen, während sie auf das glitzernde Band der Seine mit den winzigen Booten hinuntersah. Wenn sie abends nach Hause kam, wartete diese Szenerie auf sie, und dann ließ sie ihren Fernseher hochklappen, trank ein Glas Wein und betrachtete die rosa und grau getönten Häuser des Montmartre, die sich liebevoll um die weißen Kuppeln von Sacre Coeur schmiegten.
    An diesem Abend aber hatte sie die Panoramaanlage abgeschaltet. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens wußte sie nicht, wie Paul darauf reagieren würde, und zweitens wollte sie nicht abgelenkt werden.
    An diesem Abend, in diesem Apartment, heirateten sie.
    Die Zeremonie bestand darin, daß man sich Fragen anhörte, die mit trockener, monotoner Stimme von einem Tonband kamen, das die Bundesbehörde für Einwohnerstatistik vierundzwanzig Stunden am Tag abspielte, und daß man diese Fragen auf einen Piepton hin beantwortete. Name des Bräutigams? Piep. „Paul Henry Blandford.“ Seine Versicherungsnummer? Piep. Geburtsdatum? Piep. Geburtsort? Piep. Mädchenname der Braut? Piep … (Seit einigen Jahren wurde auch eine Stimmenidentifikation verlangt – irgendwann hatte ein Witzbold dem Bürgermeister den Ausweis geklaut und ihn per Computer mit der Riesendame vom Zirkus
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