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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph
Autoren: Petra Gabriel
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neue Welt nicht bei Euch herausgebracht hat, sondern bei Hupfuff?»
Martin Waldseemüller richtete sich mit einem Ruck auf. Das war
Philesius, der Mann, der die Einführung von 22 Versen zu Vespuccis Mundus Novus geschrieben und der dieses Werk über die neue Welt erst kürzlich unter dem Titel De ora Antarctica herausgebracht hatte?
Der Mann, den er unbedingt hatte treffen wollen? Mein Gott, dieser
Philesius war noch so jung. An die acht bis zehn Jahre jünger als
er selbst. Trotzdem sprach er bereits fließend Latein,
Griechisch, Hebräisch, verstand sich auf Mathematik. Das hatte er
jedenfalls gehört. Es erschien ihm wie ein Wunder, dass dieser
junge Gelehrte, dieser neue Stern am Firmament der Humanisten so
unverhofft in seiner Nähe weilte. Wieder dieser stechende Schmerz.
Er stöhnte.
Philesius blickte zu ihm hinüber. «Sieh an, unser Raubopfer
ist erwacht. Sein Schädel ist wohl dicker, als es zunächst
den Anschein hatte.»
Sie kamen zu ihm, vier Köpfe neigten sich über ihn, vier
Augenpaare schauten auf ihn herab, zwei blaue, ein bernsteinfarbenes
und eines, das ihn einhüllte wie grüner Samt. Er erhob sich
rasch, um seinen Rettern mit einer tiefen Verbeugung zu danken –
was ihm einen erneuten Stich im malträtierten Kopf bescherte.
«Martin Waldseemüller, zu Euren Diensten.» Bei den
letzten drei Worten blickte er hinüber zur smaragdäugigen
Marie Grüninger. Dann räusperte er sich erneut.
«Verzeiht, dass ich Euch so viele Umstände mache. Danke
für die Hilfe – ich» – er schwankte.
«Setzt Euch hin, Freund. Es gibt Zeiten, da ist etwas weniger
Höflichkeit auch keine Schande», dröhnte die Stimme des
alten Amerbach. «So, so, Ihr seid also der berühmte
Ilacomylus. Der Mann, der es sich in den Kopf gesetzt hat, eine
weltumspannende hydro-geographische Karte mit den Entdeckungen dieses
Florentiners Amerigo Vespucci und der anderen Seefahrer zu
fertigen.»
Martin Waldseemüller war verwirrt. «Ihr wisst von mir und meinen Plänen?»
«Natürlich. Die neue Welt ist überall ein
Gesprächsthema und damit auch der Mann, der mit seiner Karte den
Seefahrern die besten Routen über das große Meer aufzeigen
will – mit den Winden und der Strömung gen Westen, der
untergehenden Sonne und angeblich neuen Paradiesen entgegen, um es
weniger prosaisch auszudrücken. Euer Onkel Jakob erzählte mir
davon. Schade, dass Ihr schon einen Drucker habt. Diese Arbeit
würde mich interessieren.»
«Mein Onkel Jakob? Ihr kennt meinen Onkel?»
«Wir sind beide Mitglieder der Safranzunft. So treffen wir
einander immer wieder. Euer Onkel ist sehr stolz auf seinen gelehrten
Neffen, den Kartographen und Humanisten Ilacomylus, der sogar in den
Kreisen der großen Freiburger Humanisten verkehrt. Es freut mich,
endlich Eure Bekanntschaft zu machen. Auch wenn es unter für Euch
ungünstigen Umständen ist.»
Sollte das abschätzig klingen? Gut situierte Männer wie
dieser Amerbach beschäftigten sich normalerweise nicht mit den
Söhnen von Metzgern und den Neffen von mäßig
erfolgreichen Druckermeistern. Aber nein, Martin Waldseemüller
konnte in den Augen seines Gastgebers kein nur geheucheltes Interesse
erkennen. Und hatte er nicht Drucker gesagt? Natürlich, endlich
dämmerte es ihm. Amerbach! Dieser Johann Amerbach war einer der
erfolgreichsten Drucker von Basel. Ein Mann mit den besten Verbindungen
zu den Kartäusern, die ihm ein wertvolles Manuskript nach dem
anderen aus ihrer Bibliothek lieferten. Der Amerbach, von dem selbst
der gelehrte Gregor Reisch, der Kartäuserprior in Freiburg, mit
größter Hochachtung sprach!
Er holte Luft, wollte etwas sagen, brachte aber wegen seines
dröhnenden Schädels wieder nur ein unartikuliertes
Stöhnen heraus. Er hätte sich ohrfeigen können. Dieses
wunderbare Mädchen, diese Schönheit Marie Grüninger,
musste ihn für einen greinenden Schwächling halten. Sie
musterte ihn neugierig. Er konnte nicht erkennen, was sie dachte. Der
Ausdruck ihrer Augen blieb unergründlich. Nur einmal ganz nah bei
ihr sein, mit ihr sprechen, sie …
Amerbach unterbrach seine schwärmerischen Fantasien. «Ich
bin hier der Unhöfliche. Verzeiht. Nun setzt Euch schon, mein
Freund. Es wird Zeit, dass Ihr erfahrt, in wessen Haus Ihr hier
gelandet seid. Ich werde mit der Dame beginnen.»
An ihrem Lächeln erkannte Ilacomylus, dass ihr der Ausdruck Dame
sehr gefiel. Zu ihrem Grübchen im Kinn brachte es auch noch zwei
weitere in ihren Wangen hervor. Er betrachtete sie hingerissen, musste
seine ganze
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