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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph
Autoren: Petra Gabriel
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entwerfen. Ach, wenn er sie doch nur sehen könnte! Sie
wären ihm unentbehrliche Quellen, um sein eigenes großes
Vorhaben abzusichern. Und nun traf er wie aus heiterem Himmel mit
diesem Philesius zusammen. Es war wie ein Zeichen Gottes.
Er konnte seiner Freude über die Begegnung keinen Ausdruck verleihen. Wieder brachte er kein Wort hervor.
«Vater!» Nun protestierte Bruno Amerbach, der wegen der
Bemerkung des Vaters über seine Söhne verärgert war.
«Ich meinte damit eher Basilius», schob Amerbach
aufgeräumt nach. «Er lässt nämlich immer seinen
Bruder die Briefe in die Heimat schreiben, damit ich sein Latein nur ja
nicht korrigieren kann. Meine Söhne sind zurzeit auf einem kurzen
Urlaub in der Heimat. Die jungen Herren benötigen Geld.»
«Vater!» Jetzt war es an Basilius, ein zorniges Gesicht zu
ziehen. Der Umgangston im Hause Amerbach schien Martin
Waldseemüller ziemlich rau, aber dennoch herzlich zu sein.
«Verzeiht, dass ich Euch solche Umstände mache. Verzeiht
auch meine Verwirrung. Aber heute begegne ich Menschen, deren
Gesellschaft ich schon so lange suchte. Die Eure zum Beispiel,
verehrter Meister Amerbach. Ihr geltet als einer der besten Drucker
Basels. Euer Ruf kommt nur noch Eurem Leumund als guter Christenmensch
und Bürger, als Humanist und Freund der Wissenschaften gleich, dem
eines Mannes, der besser Latein und Griechisch spricht als mancher
Gelehrte.»
Martin Waldseemüller griff sich an die Stirn. Er hatte das
Gefühl, dass seine kleine Rede gestelzt klang. Doch die richtigen
Worte tauchten nur mit Mühe aus dem zähen Nebel auf, der in
seinem Kopf waberte.
Stockend sprach er weiter: «Und dann habe ich heute auch noch die
Ehre, Philesius zu treffen, den ich – verzeiht die
Vertraulichkeit – schon so lange als Bruder im Geiste betrachte.
Seit ich das erste Mal von ihm hörte, seit ich die Verse las, die
er den Reisebeschreibungen Vespuccis vorangestellt hat. Sie zeugen
nicht nur von tief empfundener poetischer Kunst und dem Humor eines
geschliffenen Geistes, sondern auch von weitreichendem geographischen
Wissen. So lange schon strebe ich danach, ihm zu begegnen, mit ihm
über mein Vorhaben, über die neue Seekarte zu
sprechen.» Die letzten Worte kamen immer leiser. Das Reden fiel
ihm unendlich schwer.
«Ihr lasst mir zu viel der Ehre zukommen, werter Freund. Das muss
wohl dem Schlag über den Schädel zuzuschreiben sein»,
erwiderte Matthias Ringmann trocken. «Eher müsste ich mich
glücklich schätzen, Euch vorgestellt worden zu sein. Gregor
Reisch erzählte oft von Euch, als wir die Änderungen an
seiner großen Enzyklopädie, der Margarita philosophica ,
besprachen. Immer wieder hat er mir erklärt, dass ich Euch
unbedingt treffen müsse, falls ich weitere Arbeiten über die
Terra incognita plane. Ihr wärt einer der belesensten und
gebildetsten Astronomen, Geographen, Mathematiker, Kartographen und
Kosmographen weit und breit. Und Theologe natürlich.»
Philesius musste seine kleine Rede unterbrechen. Ein schlimmer
Hustenanfall machte ihm zu schaffen. Er zog ein seidenes Taschentuch
aus dem Ärmel seiner Jacke. «Verzeiht», keuchte er und
hielt das spitzenbesetzte Seidentuch vor den Mund. Es hatte
ursprünglich offenbar einer Dame gehört. «Eine kleine
Unpässlichkeit, die mich seit meiner Kindheit begleitet. Sonst
wäre ich schon längst selbst in diese neue Welt
aufgebrochen.»
«Sagt, Philesius, von wem stammt denn dieses zauberhafte
Spitzentüchlein, das Ihr da so angelegentlich vor Euren Mund
haltet?» Die Stimme von Marie Grüninger klang
zuckersüß. Die junge Schönheit hatte offenbar durchaus
auch Haare auf den Zähnen. Martin Waldseemüller fand selbst
das unwiderstehlich.
In diesem Moment betrat ein junges Mädchen den Raum. Sie mochte
wohl 16 Jahre alt sein, in etwa so alt wie Marie Grüninger. Sie
umarmte diese stürmisch. «Stell dir vor, wen wir getroffen
haben! Deinen Verehrer, der …»
«Margret, wir haben einen Gast. Willst du ihn nicht erst
begrüßen? Heute scheinen mich wohl alle meine
Sprösslinge beschämen zu wollen», polterte Johann
Amerbach los. «Barbara, meine Beste, du musst unbedingt etwas
tun, um deine Kinder besser zu erziehen», rief er der Matrone
entgegen, die ins Zimmer kam.
Diese war unverkennbar die Mutter jenes soeben eingetroffenen
Mädchens. Beide waren wie sittsame Basler Bürgerinnen
gekleidet, nur, dass die Ältere eine Haube trug, wie es sich
für verheiratete Frauen geziemte. Die Qualität des Leinens
und die sorgsame
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