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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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er noch nie gehört hatte –, und bald richtete
     sich ein metallener Turm auf den Strohsäcken auf.
Was bedeutet das? Wer ist dieser Mann?
    |41| Dann hielt Claudius inne. In langsamer Bewegung hob er ein verziertes, gleißendes Schwert mit gewaltiger Klinge in die Höhe,
     den Griff mit beiden Händen umfassend, und ließ es fallen, ohne es loszulassen, nur um es wieder emporzuschwingen, bis eine
     leichte Kreisbewegung entstand. Ein feines Summen erfüllte den Raum. Als der Bischof das Schwert wieder zur Ruhe kommen ließ,
     fauchte er so leise, daß Biterolf es beinahe nicht hören konnte: »Ich bin kein Franke, hochmütiger Graf. Ich bin Westgote.«
    Eine Ader schwoll auf Claudius’ Stirn an, vom Haaransatz schräg bis zur rechten Augenbraue hinab. Biterolf konnte ihre Zacken
     sehen – sie war wie ein Blitz geformt, der nicht auf geradem Wege in den Baum einschlug. Plötzlich fürchtete der Notar, er
     würde den Raum nicht mehr lebend verlassen.
    Claudius knurrte, hob die riesige Klinge in die Höhe und ließ sie auf den Truhendeckel hinabrauschen. Das Holz zersplitterte,
     und als der Bischof die Schneide wieder aus dem Deckel zog, zeigte sich ein klaffender Riß.

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    |42| 3. Kapitel
    Biterolf sprach mit niemandem über das, was er in der Schlafkammer des Bischofs gesehen hatte. Nicht einmal Farro wagte er
     davon zu berichten, denn gleich neben der Schreibstube lagen einige Kammern, die von den Gästen bewohnt wurden, und er fürchtete,
     sie würden ihn durch die Mauern hindurch hören.
    In der Nacht träumte ihm, Claudius säße in der Rüstung des Grafen auf einem blutroten Pferd und reite durch Turin. In seiner
     Hand schwang er eine furchtbare Axt und jagte die Bevölkerung vor sich her, hinter sich eine Furche und rechts und links Berge
     von Getöteten und Verletzten.
    Noch vor Sonnenaufgang schlug er die Augen auf. Seine Kleidung war schweißgetränkt, seine Gedanken verwirrt wie Ameisen, die
     in einem soeben zerstörten Bau durcheinanderlaufen. Er schlich über den Hof in die Kirche. Das Licht zweier niedergebrannter
     Kerzen schimmerte in vergoldeten, silbernen und bronzenen Figuren, der Altar stand kräftig und unangreifbar an der Stirnseite
     des rechteckigen Raumes. In gebührendem Abstand kniete Biterolf nieder.
Was ist mit dieser Welt los, Herr? Hast du mir diesen Traum gesandt? Ich bin ein einfacher Mann, was soll ich gegen den Bischof
     ausrichten!
    Eine Weile kniete er stumm, dann spürte er, wie er ruhig wurde. Es war nicht seine Sache, sich Sorgen zu machen. Gott hielt
     die Welt in seinen Händen.
    Als Biterolf die Augen wieder öffnete, funkelte das rote Licht der aufgehenden Sonne durch die kleinen Kirchenfenster.
Wenn doch nur Stilla noch hier am Hof wäre,
dachte |43| er.
Die langen Gespräche am Abend, ihre ruhige Art, das Leben zu nehmen, wie es kommt – wie mir das fehlt.
Manchmal hatte sie sich einfach mit der Spindel zu ihm in die Schreibstube gesetzt, und sie hatten nebeneinander gearbeitet
     und sich ab und an gefragt, was dem anderen durch den Kopf ging. Er war für sie der Vater geworden, sie für ihn die Tochter.
     Aber daß Odo eine neue Magd brauchte, da seine alte immer schwächer wurde, hatte Biterolf schon einsehen müssen. Er hatte
     keinen Anspruch auf Stillas Gesellschaft. Vielleicht war gerade das der Grund für ihre Vertrautheit: daß er nicht ihr Herr
     war. Der Schreiber stand seufzend auf und verließ das Gotteshaus.
    Er suchte Thomas, den Kellermeister, und fand ihn in den Räumen der Küche, wo er Frodwald dabei half, Fische auszunehmen.
     Thomas hieb den Tieren die Köpfe und Schwänze ab, schnitt ihnen längs den Bauch auf und entfernte die größeren Gräten.
    »Wofür sind die?« fragte Biterolf.
    »Suppe.« Wie zum Beweis warf Frodwald eine Handvoll Kräuter in den Kessel. Es roch fürchterlich nach Schlamm und Möwendreck.
    Der Schreiber verschluckte den Laut des Ekels, der ihm entfahren wollte. »Thomas, ich benötige sechzehn große Pergamente.«
    Er erntete einen strafenden Blick. »Sechzehn? Dafür könnte man Hunderte von Kesseln Fischsuppe kochen und sämtliche Armen
     der Stadt ernähren!«
    Wer arm ist, ist schon genug bestraft,
schoß es Biterolf durch den Kopf. Laut sagte er aber: »Oder so manches Faß Wein kaufen, nicht wahr, Thomas?«
    »Ist ja gut, ich besorge das Zeug. Wozu brauchst du soviel teures Pergament?«
    »Ein Auftrag des Bischofs.«
    Der Schreiber stand schon mit dem Rücken in der Tür, als Thomas ihm nachrief: »Du
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