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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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zwängte sich zwischen Biterolfs Beinen hindurch und jagte wie
     ein schwarzer Todesschatten auf die Hühner zu, deren Gackern sich augenblicklich in ein angsterfülltes Kreischen verwandelte.
     Aus allen Ecken des Hofes rannten die Gefiederten auf die heimatliche Luke zu, um ihr Leben zu retten, während Farro ihnen
     in die Schwanzfedern biß. Als das letzte Huhn verschwunden war, ließ Swabo eine Klappe herunterfallen.
    »Gut gemacht, Farro!« rief der kleingewachsene Mann mit seiner Jungenstimme.
    »Nun, solange er es sich nicht angewöhnt, mag es gehen.« Biterolf schaute an sich hinunter. Er hatte sich einen satten Schuß
     Tinte auf das Hemd geschüttet, als Farro seine Beine anstieß. »Immer gerade dann, wenn man die besten Kleider angezogen hat«,
     klagte er. Dem Hütehund, der schwanzwedelnd angetrabt kam, zeigte er abwehrend die Handflächen: »Erwarte von mir kein Lob,
     du Blutrünstiger!«
    Da hörte man aus den Straßen lautes Rufen. Eine Wäscherin mit einem Korb voll Laken kam durch das Tor hereingerannt und mühte
     sich, ihre Last noch schnell in die bischöflichen Räume zu tragen. »Er kommt«, rief sie dabei über die Schulter. Der Hof bot
     einen seltenen Anblick: Thomas stand in der Kellertür, Gausbert hatte sich schützend vor den kniehohen Zaun seines Kräutergartens
     gestellt, Erlwin und Frodwald standen wie Wachposten vor der Tür des Bischofspalastes. Der Kanzler wartete gleich neben dem
     Tor, um als erster seinen Gruß zu entbieten, und die restlichen Dienstleute, mit Ausnahme von Biterolf, der vor seiner Schreibstube
     lehnte, drängten sich als unsicherer |32| Haufen zwischen die Flügel das Stalltores und den Aufgang zum Schlafsaal.
    Von draußen wogten Jubelrufe in den Hof, dann näherte sich Hufgetrappel. Schließlich schob sich ein weißer Pferdekopf vor
     die neugierigen Blicke. Biterolf sah, wie Thomas’ Kinnlade herunterklappte. Vor einem Dutzend Berittener lenkte ein stattlicher
     Mann sein weißes Roß auf den Platz. Ein scharlachroter Mantel spannte sich um seine Schultern und fiel weit über die Kruppe
     des Pferdes. Lange, kastanienbraun gelockte Haare und sonnengegerbte Haut verliehen ihm das Gesicht eines Löwen. Wilde Augenbrauen
     prangten unter einer breiten Stirn, und eine scharf geschnittene Nase forderte Ehrerbietung. Gerade als ein Reitknecht herbeisprang,
     um ihm behilflich zu sein, stieg er schon selbst aus dem Sattel, und während er dem Knecht die Zügel übergab, hörte man zum
     ersten Mal die Stimme des neuen Bischofs: »Vorsicht, junger Mann. Gebt ihr Heu und Wasser, aber bindet sie nicht an – arabisches
     Blut kocht in ihren Adern.«
    Biterolf ahnte, was die Dienstleute neben dem Stall raunten. Ein solches Pferd hatte man hier in Turin noch nicht gesehen.
     Der Kopf war schmal, die Nase edel gekrümmt, die Beine schlank und der Körper fast mager. Doch sprühte aus den Augen ein Feuer,
     das von rasenden Sandstürmen und ungebändigter Kraft zu erzählen schien.
    Den Reitern folgten zwei mit Truhen beladene Ochsenkarren, auf die einige Kinder aufgesprungen waren; ihre Räder knirschten
     schwer über den Hof, und respektvoll wichen die Menschen den Hörnern der Zugtiere aus. Hinter den Karren strömte das Volk
     von Turin in so großer Zahl durch das Tor, daß der Kanzler sich ihnen mit einigen Männern entgegenwerfen mußte.
    »Der Bischof möchte von der Reise ausruhen.«
    »Zurück, tretet zurück!«
    Mit großem Aufwand schoben sie die Torflügel zu.
    Der Schreiber spürte plötzlich, daß ihn das Paar graublauer |33| Augen fixierte. »Wie heißt Ihr?« Es wurde ruhig im Hof.
    »Ich?« Kaum war es ihm entschlüpft, hätte sich Biterolf für diese Rückfrage ohrfeigen können.
    »Ja, Ihr mit dem dunklen Flecken auf dem Hemd.« Halblautes Lachen durchbrach die Stille, aber der Bischof blieb ernst.
    »Ich heiße Biterolf, ehrwürdiger Herr. Verzeiht mein Mißgeschick –«
    »Ich möchte, daß Ihr mich führt und mir die Häuser zeigt. Ihr seid doch Notar, oder ist das keine Tinte auf Eurer Kleidung?«
    »Ich erledige die Schreibarbeit, ja. Aber meint Ihr nicht, daß Kanzler Eike –«
    »Er soll mitkommen, meinetwegen.« Claudius wandte sich mit lauter Stimme an die Gruppe von Dienstleuten, die sich neben dem
     Stalltor aufgeregt unterhielt. »Und ihr kümmert euch um meine Reisegefährten. Gebt ihnen zu trinken, was immer sie wünschen
     – Wein, Bier, kühles Wasser! Versorgt ihre Pferde, zeigt ihnen den Schlafplatz für Gäste und behandelt
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