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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte
Autoren: Luca Di Fulvio
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»Also ... kann ich einer von den Diamond Dogs sein?«, erkundigte er sich schließlich.
    Christmas hielt ihm den Mund zu und warf einen Blick hinüber zu Erdbeere, der dösend in der Ecke saß. »Bist du bescheuert? Was, wenn er dich hört?«
    Wieder lief Santo rot an.
    »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann«, sagte Christmas leise und sah Santo eindringlich an. »Lass mich darüber nachdenken. Mit so etwas spaßt man nicht.« Christmas konnte die bittere Enttäuschung in Santos Augen erkennen. Innerlich grinste er. »In Ordnung, ich gebe dir eine Chance. Aber du bist in der Probezeit, damit das klar ist.«
    Jauchzend wie ein Kind fiel Santo ihm überschwänglich um den Hals.
    Christmas entwand sich seiner Umarmung. »Hey, so einen Weiberkram gibt es bei uns Diamond Dogs nicht.«
    »Ja, ja, entschuldige, es ist nur, weil ... weil ...«, stammelte Santo aufgeregt.
    »Okay, okay, lass gut sein. Kommen wir zum Geschäft«, sagte Christmas mit noch gedämpfterer Stimme und beugte sich nach einem erneuten Blick zu Erdbeere nah zum einzigen Mitglied seiner Gang hinüber. »Stimmt es, dass deine Mutter dir eine Creme gegen die Pickel anrührt?«
    »Was spielt das für eine Rolle?«
    »Regel Nummer eins: Die Fragen stelle ich. Wenn du’s nicht gleich kapierst, kapierst du’s später. Und wenn du’s auch später nicht kapierst, denk daran, es gibt immer einen Grund, ist das klar?«
    »Okay ... ja.«
    »Ja, was? Rührt deine Mutter dir eine Salbe an?«
    Santo nickte.
    »Und denkst du, sie hilft?«
    Wieder nickte Santo.
    »Sieht aber nicht so aus, entschuldige, wenn ich dir das sage«, bemerkte Christmas.
    »Doch, sie hilft. Sonst hätte ich noch viel mehr Pickel.«
    Christmas rieb sich die Hände. »Okay, ich glaube dir. Aber jetzt sag mir: Denkst du, sie würde auch gegen Räude helfen?«
    »Keine Ahnung ... wieso Räude?«, fragte Santo verblüfft.
    Christmas beugte sich noch näher zu ihm hinüber. »Es geht um einen, den wir beschützen. Er zahlt gut. Aber sein Hund hat die Räude, und wenn du und ich es schaffen, ihn zu heilen, rückt der Typ bestimmt noch mehr Geld raus.« Mit dem Fingernagel klopfte er gegen den Becher, was ein leises Klirren erzeugte.
    »Sie könnte helfen«, meinte Santo.
    »Einverstanden«, sagte Christmas und stand auf. »Wenn du einer von den Diamond Dogs sein willst, musst du dir das erst verdienen. Besorg mir ganz viel von der Salbe deiner Mutter. Wenn sie hilft, gehörst du zu uns und kriegst deinen Anteil.«

6
    Manhattan, 1909
    Im Zimmer war es warm und behaglich, und so üppige Vorhänge an den Fenstern hatte Cetta noch nicht einmal im Haus des Gutsherrn gesehen. Hinter dem Schreibtisch saß der Mann, der sie abgeholt hatte, nachdem sie vor weniger als fünf Stunden an Land gegangen war. Ein Mann um die fünfzig, der auf den ersten Blick lächerlich wirkte mit der quer über die Glatze gekämmten langen Haarsträhne. Zugleich jedoch besaß er eine Kraft, die beunruhigend war. Cetta verstand nicht, was er sagte.
    Der andere Mann, der bei ihnen war, beherrschte wie der junge Dolmetscher der Einwanderungsbehörde sowohl die Sprache des Mannes mit der Haarsträhne als auch Cettas Sprache. Und er übersetzte, was der Mann hinter dem Schreibtisch sagte. Von dem Dolmetscher hatte Cetta – als sie ihm wenige Minuten zuvor ins Zimmer gefolgt war – erfahren, dass der Mann mit der Strähne ein Anwalt war, der sich um Mädchen wie sie kümmerte. »Wenn sie so hübsch sind wie du«, hatte er augenzwinkernd hinzugefügt.
    Der Anwalt sagte etwas und blickte auf Cetta, die den Jungen im Arm hielt, der eben erst von dem Inspektor der Einwanderungsbehörde auf den Namen Christmas getauft worden war.
    »Um dich können wir uns kümmern«, übersetzte der andere. »Aber das Kind könnte ein Problem sein.«
    Ohne den Blick niederzuschlagen, drückte Cetta ihren Sohn an sich und schwieg.
    Der Anwalt rollte die Augen zur Decke, bevor er erneut sprach.
    »Wie willst du mit dem Jungen arbeiten?«, übersetzte wieder der andere. »Wir bringen ihn an einen Ort, an dem er in Ruhe aufwächst.«
    Cetta presste Christmas noch enger an sich.
    Der Anwalt ergriff wieder das Wort. Der Dolmetscher sagte lachend: »Wenn du ihn noch etwas fester drückst, zerquetschst du ihn, und das Problem hat sich erledigt.«
    Der Anwalt stimmte in das Lachen ein.
    Cetta lachte nicht. Sie presste die Lippen zusammen und runzelte die Stirn, ohne den Blick von dem Mann hinter dem Schreibtisch abzuwenden und ohne sich zu rühren. Sie
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