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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
Autoren: Ravensburger
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Stan verstehen würden. Er kicherte und lächelte sie an. Er war der festen Überzeugung, dass sie zurücklächeln würden, wenn sie könnten.
    Draußen wurde alles totenstill.
    Keine Maschinen, keine Reden, kein Gesang, kein Streit.
    Annie kam zu Stans Wandschrank. „Dein Onkel denkt nach“, flüsterte sie.
    „Worüber?“, fragte Stan ebenso flüsternd.
    „Er denkt bloß nach“, sagte Annie.
    Gemeinsam lauschten sie der Stille.
    „Vielleicht bringt ihn das Nachdenken wieder zur Vernunft“, sagte Annie.
    „Hoffentlich“, sagte Stan.
    Und er seufzte und lächelte, und Annie strich ihm übers Haar, und die Goldfische tanzten um seine Hand.

Neun
    Nun. Wie können wir mit ansehen, was als Nächstes geschah? Müssen wir wirklich von einer so tödlichen Tat berichten, von so viel Verworfenheit und Unglück?
    Was ist denn nun so schrecklich?, werdet ihr euch fragen.
    Oh, liebe Leser, bleibt einfach dran und lest weiter. Hört zu. Schaut her. Oder legt das Buch beiseite. Wendet euch glücklicheren Geschichten zu. Lasst diese Seiten, die schon bald von schrecklichem Verderben berichten, hinter euch. Macht schnell. Oder aber lest weiter.
    Es ist mitten in der Nacht. Alles scheint friedlich zu sein in der Fischzuchtgasse Nr. 69. Stan schläft tief und fest in seinem Wandschrank. Er träumt von Enten und Fischen in einem Eimer und von dem Auge eines Mädchens, das durch ein Guckloch im Staub späht.
    Annie schnarcht ebenfalls. Sie träumt davon, wie es früher war. Sie hält ihren Mann und ihren Neffen an den Händen, und gemeinsam gehen sie am glitzernden Fluss spazieren. Sie lachen. Auf der Werft liegen riesige, halb fertige Schiffe. Männer gehen ihrer Arbeit nach. Es gibt Backfisch und Pommes frites am Kai zu kaufen. Ernie lacht und scherzt.
    Ausnehmmaschinen kommen in Annies Träumen nicht vor.
    Ernie schläft nicht. Er lacht auch nicht. Er hockt auf einer Zerlegemaschine. Er denkt und denkt. Und während er denkt, taucht eine Idee in seinem Kopf auf – eine glorreiche, wunderbare und entsetzliche Idee. Er weiß, dass er sie verwerfen oder am besten gleich vergessen sollte. Am besten aber wäre es, dagegen anzukämpfen.
    Und er versucht es. Er versucht es wirklich. Er ballt die Fäuste. „Nein“, murmelt er. „Nein!“
    Ringsum schlummern die Maschinen. Leise knistert der Strom, gurgelt das Wasser, zischt der Dampf. Ernie weiß, dass die Maschinen auf ihn warten, dass sie seinen Willen erfüllen, dass sie ihm untertan sind. Er weiß, dass sie seine Idee in die Tat umsetzen könnten.
    Aber immer noch kämpft er dagegen an.
    „Nein. Argh! Ich kann nicht! Nein!“
    Die Nacht verfinstert sich. Die Idee kommt wieder und wieder und wieder. Ernie murmelt: „Nein. Nein. Nein!“
    Und dann graut der Morgen. Es ist die stillste Stunde, die tödlichste Stunde. Es ist das Ende der Nacht.
    „Nein“, flüstert er noch einmal, doch noch während er flüstert, steigt er von der Zerlegemaschine herab. Auf Zehenspitzen schleicht er an seiner schlafenden Frau vorbei, geht zum Wandschrank seines Neffen. Er hat eine Bratpfanne in der Hand. Und die Maschinen seufzen auf vor Entsetzen, aber auch vor Freude über das, was ihr Herr und Meister gleich tun wird.
    „Sei tapfer“, flüstert er sich Mut zu, während er langsam auf die Schranktür zukriecht. „Ja, es ist entsetzlich, aber es ist besser so. Ja, es ist grausam, aber es wird uns reich machen. Es wird uns berühmt machen. Dann kann uns niemand mehr auf die Straße setzen. Niemand wird uns irgendetwas wegnehmen. Nie wieder. Tu es, Ernie. Tu es. Tu es für die Zukunft, für die Familie, tu es für den armen, armen kleinen Stan …“
    Er öffnet die Tür. Ein Streifen Mondlicht lugt herein und fällt auf den schlafenden Jungen und den Eimer. Da sind sie, die wunderschönen, zarten goldenen Kerlchen. Mittlerweile ist Ernie ganz von seinem Plan besessen. Er leistet keinen Widerstand mehr. Mit einem Grinsen greift er ins Wasser und fängt die Fische, einen nach dem anderen, und legt sie, einen nach dem anderen, in die Bratpfanne.

    Er fängt zwölf Stück. Keuchend und zuckend und zappelnd liegen sie in der Pfanne. Der dreizehnte saust im Wasser hin und her, taucht ab und entwischt Ernies Fingern ein ums andere Mal. Ernie schnalzt mit der Zunge und grunzt.
    „Halt still, du verflixter …“
    Da rührt sich der Junge im Schlaf. Ernie erstarrt zur Salzsäule. Er wagt kaum zu atmen. Zwölf Fische schnappen verzweifelt und stumm nach Luft. Der Junge schläft weiter. Ernie
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