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Der Junge aus dem Meer

Der Junge aus dem Meer

Titel: Der Junge aus dem Meer
Autoren: Alfred Weidenmann
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Sommerfrische.
    „Ich würde mir bei diesem Wetter auch nicht die Haare schneiden lassen“, gab Vater Treutlein zu und schlug dabei die Beine übereinander. „Und wer sich jetzt unter die Trockenhaube setzt, ist entweder übergeschnappt oder ein Selbstmörder.“
    Fünf Minuten später kam Herr Bennelmann aus seinem Laden, der gleich um die Ecke lag, und jammerte: „Wenn das so weitergeht, kann ich meinen Kunden gleich Stroh verkaufen. Meine Zigarren trocknen aus wie Dörrobst. Aber an allem sind nur diese verdammten Raketen schuld.“
    „Wie meinen Sie das, Herr Bennelmann?“ fragte Friseurmeister Treutlein interessiert.
    „Ist doch so klar wie Wurstbrühe“, erwiderte der Zigarrenhändler. „Nur ihnen haben wir’s zu verdanken, wenn das Wetter verrückt spielt. Es gibt keine Jahreszeiten mehr. Im Winter fliegen schon die Maikäfer durch die Gegend, und der Sommer verwechselt seit neuestem Europa mit Abessinien. Und alles nur, weil ein paar Verrückte auf dem Mond herumspazieren wollen.“
    „Das ist der Fortschritt“, wagte Fritz zu bemerken.
    „Darauf pfeife ich“, brummte Herr Bennelmann und putzte sich verächtlich die Nase. Dann stiefelte er wieder zu seinen ausgetrockneten Zigarren zurück.
    „Übrigens, was hast du dir inzwischen überlegt“, fragte Fritz Treutlein nach einer Weile so nebenbei. Dabei guckte er über sich in die gelb-rot gestreifte Jalousie und tat so, als ob ihn die Antwort überhaupt nicht interessieren würde.
    „Einerseits sitzen wir hier rum und drehen Däumchen“, erwiderte Friseurmeister Treutlein. „Andererseits gibt es für einen Kurort keine Sommerferien.“
    „Darf ich also, oder darf ich nicht?“
    ,,Es ist ja nicht nur die Zeit“, erwiderte Vater Treutlein. „Du weißt genau, daß überall die Preise wie Affen in die Höhe klettern.“
    Leider kam genau in diesem Augenblick Frau Bandel von der Milchbar über die Straße und rief schon von weitem: „Ich brauche Haarnadeln, Nagellack und Lockenwickler!“
    Womit das Gespräch zwischen Fritz Treutlein und seinem Vater vorerst auf Eis gelegt war.
    Etwa zur selben Zeit gab Chefredakteur Kubatz in seiner Redaktion die Schlagzeile für die nächste Ausgabe der Bad Rittershuder Nachrichten bekannt:
    „Unser Wasser wird knapp!“
    Anschließend diktierte er noch, daß die Stadtverordneten in der Gemeindeversammlung beschlossen hatten, ab sofort das Waschen von Autos und das Sprengen von Gärten zu verbieten. Auch in den Haushalten sollte gespart werden. Zum Beispiel möge man sich vorübergehend daran gewöhnen, Badewannen nur zur Hälfte vollaufen zu lassen:
    Auch in der Revierwache im Erdgeschoß des Rathauses war der gefallene Grundwasserspiegel das Thema Nummer eins.
    „Eine Katastrophe“, stöhnte der Zweite Bürgermeister.
    „Und das in einer Stadt, die drei Thermalquellen ihr eigen nennen darf“, bemerkte Polizeimeister Kalender.
    „Kochen Sie mal mit Thermalwasser Ihren Kaffee“, knurrte der Zweite Bürgermeister. „Und wenn Sie den Rasen im Kurpark damit besprengen, geht er ein, als hätte es Salzsäure geregnet.“
    „Ja, Regen wäre jetzt ein echtes Himmelsgeschenk“, erwiderte Herr Kalender ein wenig kleinlaut.
    „Darauf können wir aber leider nicht warten“, warf der Zweite Bürgermeister ein und nahm einen Zug aus seiner Zigarre. „Also, ich wiederhole: Sie kontrollieren mit Ihren Beamten jeden Gartenschlauch und jeden Hydranten in der Stadt.“ Der Zweite Bürgermeister ging jetzt im Zimmer auf und ab. „Schreiten Sie ein, wenn irgendwo mit Wasser nicht sorgfältig umgegangen wird.“ Er blieb stehen und pustete eine Rauchwolke ins Zimmer. „Aber ich bitte mir aus, daß Ihre Leute mit äußerster Freundlichkeit vorgehen. Schließlich zahlen die Bürger mit ihren Steuern unsere Gehälter, und im Herbst stehen Wahlen vor der Tür.“
    „Diplomatie ist meine Spezialität“, versicherte Polizeimeister Kalender. Dabei deutete er eine kleine Verbeugung an.
    Eigentlich profitierten nur das Freibad und Ernesto Rinaldis Eisdiele von der Hitze. Im Freibad konnte man im Schwimmbecken keinen Meter schwimmen, ohne mit einem anderen einen Zusammenstoß zu fabrizieren, und vor der Eisdiele warteten die Besucher, bis endlich ein Gast seinen Stuhl frei machte. Dort saß natürlich mitten unter den Kurgästen auch ein gewisser Salvatore Ambrosi unter einem der bunten Sonnenschirme im Vorgarten. Er hatte pechschwarze Locken, einen genauso pechschwarzen Bart und wog gut und gern seine zweieinhalb
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