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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auch wenn er ihn durch zu hohe Dosen von Quecksilber fast umgebracht hätte. Aber der Sünder lief seit drei Jahren ohne Rückfall herum und hatte sogar einen Sohn gezeugt, der absolut gesund war.
    Galt das alles nicht mehr? Was hatte dieser Deng Jintao vorzuweisen? Nur Gerüchte, Märchen, nebelumwobene Wundertaten, die niemand nachprüfen konnte; denn wer vom Jadedrachen-Kloster zurückkam ins Dorf, nicht nur nach Changli, sondern auch in die umliegenden Dörfer der Senke der Löwenhügel und in die Dörfer der Naxi-Minderheit auf der Hochebene oder gar aus Lijiang selbst, schwieg über seine Krankheit und seine Heilung. Zwei Ärzte, die ihre Praxen in Lijiang eröffnet hatten, nachdem sie an der berühmten Universität von Chengdu studiert hatten, stellten mit zähneknirschendem Staunen fest, daß von ihnen aufgegebene Patienten plötzlich aus dem Jadedrachen-Schneegebirge zurückkehrten; wie der Friseur Gu Changwei: Er baute seinen Stand auf der Straße am Marktplatz wieder auf und rasierte und schnitt Haare wie bisher, als habe er nie an Lungentuberkulose gelitten.
    »Dieser Mönch ist ein Schamane!« erklärten die Ärzte ihren unruhig werdenden Patienten. »Er verwirrt euren Geist mit Sprüchen, Räucherstäbchen, wertlosen Tropfen oder Pillen, über die er Rauchkessel schwenkt, und sagt zu euch: ›Geht, ihr seid gesund.‹ Und plötzlich – hört nicht daran vorbei, liebe Brüder und Schwestern – fallt ihr einfach um und seid tot. Er verzaubert euch, aber noch nie ist durch einen Zauber ein morscher Knochen wieder fest geworden. Wer zu Deng Jintao geht, sollte vorher sein Grab wählen.«
    Der Ruf von Deng Jintao wuchs indes wie der Reis in einem guten Jahr. Seit einem halben Jahr gab es zweimal im Monat eine Busfahrt zum Jadegipfel-Tempel. Der Unternehmer, ein schlitzohriger Mensch aus Dali, verlangte für diese Fahrt drei Yuan, in einem Bus, dessen Federn krachten und dessen Motor kläglich aufheulte, wenn er eine kleine Steigung nehmen mußte. Aber alle vierzehn Tage war der Bus voll; sogar auf dem Dach, sich an Haltestangen festklammernd, fuhren die Kranken ins Gebirge, und sie zahlten sogar vier Yuan.
    Deshalb fuhr nun Yang Ling mit dem eigenen Kleintraktor in die Berge, hinter sich auf dem Anhänger seine Frau Xu Junpei, die sich zwischen die Bündel aus Decken und warmer Kleidung gedrückt hatte. Neben ihr stand die große Thermosflasche mit heißem Wasser und der Leinensack mit Tee, damit sie Ling sofort bedienen konnte, wenn er nach seinem grünen Getränk rief.
    Es war ein Tag, der sich nach einem sonnigen Morgen immer mehr eintrübte, je höher sie kamen. Als sie die weite, fast kahle Hochebene erreichten, hielt Ling den Motor an, verlangte seinen grünen Tee, nahm ein paar lange Schlucke und zeigte dann auf den weißbestäubten Jadedrachen-Berg. Breite Rinnsale von klarem, eiskaltem Schmelzwasser durchbrachen die Ebene und wurden weiter unten im Tal zu lebenspendenden Bächen für die Gemüsefelder und Reisterrassen.
    »Dort hinauf müssen wir«, sagte Ling, nachdem auch Junpei ihren Tee getrunken hatte. »Dort liegt der Jadegipfel-Tempel.«
    »Wie hoch, du tapferer Mann?«
    »Man sagt: dreitausenddreihundertfünfzig Meter. Geologen haben es gemessen, man muß es ihnen glauben.«
    »Und dort hinauf müssen wir klettern, mit allem Gepäck auf dem Rücken?«
    »Es führt ein Weg hinauf, von den Mönchen angelegt. Ein schmaler, steiniger Weg, aber es ist ein Weg. Wenn der Bus aus Dali es schafft, schaffen wir es auch. Dem Busfahrer geht es um Geld, mir geht es um mein Leben.«
    Der Weg zum Tempel war eine Tortur für den alten, keuchenden Traktormotor; er röchelte und gab Laute von sich, als weine er laut, aus dem Auspuff quoll schwarzer, öliger Rauch, knatternd, als würde er hinausgeschossen. Aber Ling hielt nicht an und gönnte dem Traktor kein Verschnaufen; er wußte, er würde dann nicht wieder anspringen, so störrisch wie ein müder Esel würde er sein, den konnte man auch mit viel Geschrei knüppeln, und dennoch rührte er sich nicht. Alles hat seine Seele, dachte Ling. Auch der Motor eines Traktors … Nur noch vier Biegungen, noch ein paar Kehren, und wir sehen den Tempel. Chen Xue und seine Brüder haben uns längst gesehen. Vor allem haben sie gefühlt, daß Yang Ling und Xu Junpei auf dem Weg zu ihnen sind: Sie spüren den Wind, bevor er über die Berge weht, sie riechen den Schnee, bevor er fällt, sie sehen die Blüten der Bäume, Büsche und Pflanzen, bevor sich ihre Knospen
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