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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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in eine andere Zeit erlaubte? Isabel nahm den Stein in die Hand. Er war schwer und kalt.
    Sie hoffte, dass ihre Zukunft es nicht wäre.

[home]
60
    D ie erste Vollmondnacht im Januar stand bevor. Miguel hatte sie herbeigesehnt, obwohl Ambas Worte unmissverständlich gewesen waren: Die Verabredung besaß keine Gültigkeit mehr. Doch das hatte sie ausgesprochen, bevor sie zu Isabels Abreise am Hafen erschienen war, und da hatte er das deutliche Gefühl gehabt, dass in dieser Sache noch nicht alles gesagt war. Er würde jedenfalls weiter und mit allen Mitteln um Amba kämpfen.
    Er hatte sich viel Mühe mit seiner Körperpflege und der Garderobe gegeben. Seine Dienstboten hatten ihn wissend angeschaut, als er nach einem Bad, einer Massage und einem Barbier verlangt hatte. Letzterer rasierte ihn nicht nur, sondern schnitt auch die Haare in den Nasenlöchern und den Ohren, obwohl Miguel seines Wissens dort nicht von übermäßigem Haarwuchs geplagt war. Er schnitt ihm die Nägel an Zehen und Fingern und rubbelte die Haut an Ellbogen und Fersen mit einer speziellen Paste ab. Hinterher fühlte Miguel sich wie neugeboren. Er wählte dann Kleidung aus, die praktisch und bequem war, immerhin musste er noch einen ziemlich langen Ritt hinter sich bringen, die aber zugleich nicht allzu leger wirkte. Er legte den schönsten Spitzenkragen um und wählte seine eleganteste Capa aus dunkelblauem Samt aus, die er sich schwungvoll über die Schultern warf. Dieses Zubehör würde von den staubigen Reitstiefeln ablenken.
    Er war bewusst langsam geritten, um Amba nicht schweißgebadet und übelriechend gegenübertreten zu müssen. Kurz bevor er ihr Haus erreichte, betupfte er sich mit Duftwasser und wischte die Stiefel so blank, wie es ihm das Mondlicht erlaubte. Dann ritt er in die Einfahrt – und erschrak. Das Haus war vollkommen unbeleuchtet. Niemand kam, um ihn zu empfangen, und alles wirkte wie ausgestorben. Was war hier geschehen? Hatten Amba und ihre Leute überstürzt flüchten müssen? Waren sie vielleicht alle gemeinsam zu einem Fest gegangen? Aber nein, einer würde doch zumindest die Stellung halten müssen. Der Vollmond tauchte Haus und Garten in ein silbriges Licht. Miguel ging die Stufen zur Veranda hinauf und wollte gerade an der Tür klopfen, als diese sich öffnete. Vor ihm stand Amba. Sie war unverschleiert und trug einen Sari, der aus feinster grüner Seide gewebt und mit unzähligen Steinchen und Perlen bestickt war. Ihre Augen waren stark geschminkt, und überall an ihr funkelte, schillerte und klimperte es. Sie trug Schmuck an ihren Ohren, in ihrer Nase, in ihrem Nabel, an Fingern und Zehen, an den Armen, um die Fußgelenke und um den Hals. Ihre Lider wirkten schwer, und Miguel hatte den Eindruck, dass sie vielleicht unter dem Einfluss eines Rauschmittels stand. Ob Opium diese Wirkung hatte? Er hatte viel über die Droge gehört, sie jedoch nie selber ausprobiert. Es hieß, sie ließe alle Sorgen vergessen und mache schläfrig. Allerdings wirkte Amba weniger müde als vielmehr extrem sinnlich. So verführerisch hatte er sie nie zuvor erlebt.
    Sie ließ ihn eintreten und führte ihn mit einem Kerzenhalter in der Hand in einen Raum, der im rückwärtigen Teil des Hauses lag. Dort brannten unzählige Kerzen und tauchten ihn in ein wunderbares Licht. Räucherkegel und Duftlampen verbreiteten ein betäubendes, süßliches Aroma. Im Fenster hing ein Windspiel, das von der leichten Brise in Bewegung gehalten wurde und geheimnisvolle Klänge aussandte. In der Mitte des Raums befand sich Ambas Schlafstatt, eine dicke Bodenmatte, die von transparenten Vorhängen umgeben war. Die ganze Zeit über wechselten sie kein Wort. Miguel wagte es nicht, den Zauber der Szenerie durch eine banale Äußerung zu zerstören.
    Amba beobachtete jede von Miguels Reaktionen aus den Augenwinkeln. Hatte er bemerkt, dass sie sich ausstaffiert hatte wie ein teures Freudenmädchen? Dass sie aussah wie eine Tänzerin aus dem Harem des Moguls? Dass sie ihm ein unvergessliches Abschiedsgeschenk machte? Und sich selber ebenfalls?
    Bevor sie ihre Flucht antrat, wollte sie wenigstens noch einmal in seinen Armen liegen, seine Küsse auf ihrer Haut spüren, mit ihm eins werden. Sie hatte lange überlegt, ob das klug wäre, doch dann hatte sie alle Zweifel beiseitegefegt und beschlossen, einmal nur einer Laune nachzugeben und etwas zu tun, was ihr Freude machte, auch wenn die Stimme der Vernunft davon abriet. Schon die Vorbereitungen hatten sie in eine Laune
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